(Ergänzender Text zu Band 6, orig. AE I, 1)
Nachfolgender Aufsatz bildet das erste Kapitel des ersten Bandes „Asketische Erfahrungen“ des heiligen Bischofs Ignatij. In der deutschen Edition ist dieser Text nicht enthalten.
Die Übersetzung darf unter Angabe der Quelle (Ignatij.de) frei verwendet werden. Kommerzielle Verwendung bedarf unserer Zustimmung.
Über die Nachfolge nach unserem Herrn Jesus Christus
Wenn einer Mir dienen will, folge er Mir nach (Joh 12,26), sprach der Herr. Jeder Christ hat mit dem Gelübde bei der heiligen Taufe die Verpflichtung auf sich genommen, Knecht und Diener des Herrn Jesus Christus zu sein. Unausweichlich muss also jeder Christ dem Herrn Jesus Christus nachfolgen.
Sich Hirte nennend, sagte der Herr, dass die Schafe auf die Stimme dieses Hirten hören … und die Schafe folgen Ihm, denn sie kennen Seine Stimme (Joh 10,3-4 kslw.). Die Stimme Christi – das ist Seine Lehre; die Stimme Christi ist das Evangelium. Den irdischen Lebensweg in Christi Nachfolge zu beschreiten heißt, das eigene Handeln ganz an Seinen Geboten auszurichten.
Um Christus nachzufolgen, muss man Seine Stimme kennen. Vertiefe dich in das Evangelium, und du wirst durch dein Leben Christus nachfolgen können.
Wer, im Fleische geboren, durch die heilige Taufe die Wiedergeburt (Tit 3,5) erfährt, und den in der Taufe vermittelten Zustand durch einen Lebenswandel nach dem Evangelium bewahrt, der wird gerettet. Durch die geistliche Geburt geht er ein in einen gottgefälligen irdischen Lebenswandel, und er wird durch ein seliges Ende aus seiner Wegstrecke ausgehen und in der Ewigkeit eine ewige, nahrhafte, süßeste geistliche Weide finden (Joh 10,9).
Wenn einer Mir dienen will, folge er Mir nach; und wo Ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer Mir dient, wird der Vater ihn ehren (Joh 12,26). Wo war der Herr, als Er diese Worte aussprach? In Seinem mit dem Gottsein verbundenen Menschsein hielt Er sich unter den Menschen auf, auf Erden, im Jammertal ihrer Vertreibung und Leiden, und zugleich verblieb Er Gottheit dort, wo Er vom anfanglosen Anfang an war. Das Wort war bei Gott und in Gott (Joh 1,1). Dieses Wort verkündete von Sich Selbst: In Mir ist der Vater und Ich bin im Vater (Joh 10,38). Dies erlangt auch, wer Christus nachfolgt: Wer mit Lippen, im Herzen und mit Werken bekennt, dass Jesus der Sohn Gottes ist, in dem bleibt Gott und er bleibt in Gott (1 Joh 4,15).
Wenn einer Mir dient, wird der Vater ihn ehren (Joh 12,26). Wer siegt über die Welt und die Sünde, wer Mir im Leben nachfolgt, der darf mit Mir auf Meinem Thron sitzen, so wie auch Ich gesiegt habe und Mich mit Meinem Vater auf Seinen Thron gesetzt habe (Offb 3,21).
Die Lossagung von der Welt geht der Nachfolge Christi voraus. Das Zweite findet in der Seele keinen Platz, wenn darin nicht vorher das Erstgenannte vollzogen wurde. Wenn einer hinter Mir hergehen will, sprach der Herr, verleugne er sich selbst, nehme sein Kreuz auf sich und folge Mir nach. Denn wer sein Leben retten will, wird es verlieren; wer aber sein Leben um Meinetwillen und um des Evangeliums willen verliert, wird es retten (Mk 8,34f). – Wenn jemand zu Mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern, ja sogar sein Leben gering achtet, dann kann er nicht Mein Jünger sein. Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter Mir hergeht, der kann nicht Mein Jünger sein (Lk 14,26f).
Viele treten zum Herrn hinzu – doch nur wenige entschließen sich, Ihm nachzufolgen. Viele lesen das Evangelium, erfreuen sich daran, bewundern seine Erhabenheit und Heiligkeit – doch nur wenige entscheiden sich zu einem Verhalten nach den Regeln, die das Evangelium setzt. Allen, die an Ihn herantreten und sich Ihm anschließen möchten, verkündet der Herr: Wenn jemand zu Mir kommt, der sich nicht von der Welt und von sich selbst lossagt, der kann nicht Mein Jünger sein (Lk 14,26f).
Diese Rede ist hart – so sprachen selbst Menschen, die Ihm dem Anschein nach folgten und sich zu Seinen Jüngern zählten: Wer kann auf Ihn hören? (Joh 6,60 kslw.) So richtet das Trachten des Fleisches (Röm 8,6) in seinem armseligen Zustand über das Wort Gottes. Dieses Wort Gottes ist das Leben (Joh 6,63), ewiges Leben, existenzielles Leben. Dieses Wort tötet das Trachten des Fleisches ab, das aus dem ewigen Tod geboren wurde und im Menschen den ewigen Tod speist: Für jene, die vom Trachten des Fleisches verdorben werden und es zulassen, daran zugrunde zu gehen, ist das Wort Gottes Torheit, für jene, die gerettet werden, ist es Gottes Kraft (1 Kor 1,18).
So sehr haben wir durch den Sündenfall das Sündige verinnerlicht, dass es alle Charakterzüge und Regungen der Seele durchdringt. Sich von dieser der Seele zu eigen gewordenen Sünde loszusagen, bedeutet Abkehr von der Seele. Die Seele auf diese Art zu verwerfen, ist für die Errettung der Seele unumgänglich. Unausweichlich muss die sündenbefleckte Natur verworfen werden, um eine von Christus erneuerte Natur zu gewinnen. Wenn Gift in eine Speise gelangt ist, wird das ganze Gefäß ausgeschüttet; es wird gründlich gereinigt, und erst danach wird darin wieder Speise aufbewahrt, die zum Verzehr bestimmt ist.
Um Christus nachzufolgen, entsagen wir zuerst unserer eigenen Vernunft und unserem Eigenwillen. Sowohl Vernunft als auch Wille der gefallenen Natur sind von der Sünde vollkommen beschädigt und werden sich mit Gottes Vernunft und Willen niemals abfinden. Fähig zur Aufnahme der göttlichen Vernunft wird nur, wer seiner eigenen Vernunft entsagt; fähig zur Befolgung des Willens Gottes wird nur, wer sich lossagt von der Verwirklichung eigenen Willens.
Um Christus nachzufolgen, wollen wir unser Kreuz auf uns nehmen. Dies meint die freiwillige, fromme Unterwerfung unter Gottes Gericht, unter alle Leiden, die uns die göttliche Vorsehung sendet und zulässt. Auflehnung und Zorn im Angesicht von Prüfungen und Anfechtungen bedeuten Lossagung vom Kreuz. Christus kann nur derjenige nachfolgen, der sein Kreuz auf sich genommen hat: der dem Willen Gottes untertan ist und Gericht, Verurteilung und Strafe für verdient hält.
Der Herr, der uns Selbstverleugnung, Abkehr von der Welt und das Tragen des Kreuzes geboten hat, gibt uns auch die Kraft, dieses Gebot zu erfüllen. Wer sich entschieden hat, dieses Gebot zu beachten und danach strebt, es zu befolgen, wird schnell erkennen, wie notwendig es ist. Seine Lehre, die dem fleischlichen Trachten in seiner oberflächlichen und falschen Sicht hart erscheint, erweist sich dann als überaus vernünftig und voller Güte: Sie ruft die Gefallenen zur Errettung, die Getöteten zum Leben, die im Hades Begrabenen in den Himmel.
Die sich nicht zur freiwilligen Absage an sich und die Welt durchringen können, werden gezwungen sein, das eine wie das andere gezwungenermaßen zu tun: Wenn der unerbittliche und unabwendbare Tod naht, müssen sie sich von allem trennen, an das sie sich gebunden hatten. Ihre Selbstentsagung aber wird so weit gehen, dass sie den Körper selbst abwerfen, ihn ablegen und auf Erden zurücklassen, den Würmern und der Fäulnis zum Fraß.
Eigenliebe und die Bindung an Zeitliches und Vergängliches folgen aus Eitelkeit, Blindheit und dem Tod der Seele. Eigenliebe ist eine Entartung der Liebe zu sich selbst. Solche Liebe ist dumm und führt ins Unglück. Wer selbstverliebt ist und sich an Eitles, Vergängliches und sündiges Vergnügen bindet, der ist sich selbst feind. Er ist ein Selbstmörder: Er glaubt nur, sich zu lieben und sich zu dienen. Doch er verachtet und zerstört sich, tötet sich selbst zum ewigen Tod.
Öffnen wir unsere Augen, die wir von Nichtigem abgelenkt, eingenommen und getäuscht sind! Werden wir wach, die wir durch solch Nichtiges trunken und der rechten Selbsteinsicht beraubt sind! Schauen wir auf die Erfahrungen anderer, die sich immer wieder vor unseren Augen vollziehen. Denn was sich vor uns vollzieht, wird unumgänglich auch mit uns geschehen.
Wenn einer etwa sein ganzes Leben darauf verwendet hat, Ruhm zu gewinnen – hat er ihn in die Ewigkeit mitgenommen? Hat er nicht sein hohes Amt, seine Orden und den ganzen Glanz, mit dem er sich umgeben hatte, hier zurückgelassen? Ist nicht vielmehr dieser Mensch allein in die Ewigkeit eingegangen, einzig mit seinen Werken und seinen im irdischen Dasein angenommenen Eigenschaften?
Wenn einer auch sein ganzes Leben darauf verwendet hat, Reichtümer zu erlangen und Berge von Geld anzuhäufen, wenn er weitläufige Ländereien in seinen Besitz gebracht und verschiedene Unternehmen begründet hat, die reichen Gewinn abwerfen, wenn er in goldenen und marmorstrotzenden Gemächern lebte und in prächtigen Pferdekutschen gereist ist – hat er dies in die Ewigkeit mitgenommen? Nein! Er hat alles auf der Erde zurückgelassen und sich für sein letztes Bedürfnis mit einem kleinen Stück Wiese, wie es für alle Verstorbenen gleichermaßen notwendig und ausreichend ist, zufrieden gegeben.
Wenn einer auch sein Leben lang fleischlichen Genüssen und Vergnügungen gefrönt hat, seine Zeit im Spiel und mit anderen Zerstreuungen unter Freunden verbracht und an reichgedeckten Tischen getafelt hat, wird ihm doch zuletzt unausweichlich seine gewohnte Lebensart zu schwer. Es folgt eine Zeit des Alters und der Gebrechlichkeit, anschließend aber die Stunde der Trennung des Leibes von der Seele. Dann erst, zu spät, reift die Erkenntnis, dass es Selbsttäuschung ist, den Gelüsten und Lastern zu frönen, dass ein Leben für den Leib und die Sünde ein Leben ohne Sinn ist.
Wie merkwürdig, wie bedrückend ist doch dieses Streben nach irdischem Erfolg! Es strebt, ohne sich zu besinnen. Kaum wurde es fündig, verliert das Gefundene seinen Wert, und die Suche beginnt mit neuer Kraft. Nichts von dem, was es erlangt hat, stellt es zufrieden: Es lebt allein vom Zukünftigen, dürstet allein nach dem, was es nicht hat. Die Gegenstände der Begierde locken das Herz des Suchenden durch den Traum und die Hoffnung auf Zufriedenheit: Betrogen und stets aufs Neue getäuscht, jagt er ihnen sein ganzes Erdenleben lang hinterher, bis ihn der unerwartete Tod hinwegrafft. Wie und womit kann man dieses Suchen erklären, das mit allen umspringt wie ein herzloser Verräter, das alle beherrscht und verführt? – In unseren Seelen ist das Streben nach dem grenzenlos Guten eingepflanzt. Doch wir sind gefallen, und so sucht nun das durch den Fall verblendete Herz in der Zeit und auf Erden das, was es nur in der Ewigkeit und im Himmel gibt.
Das Schicksal, das meine Vorfahren und Brüder ereilt hat, wird auch mich treffen. Sie sind gestorben, und auch ich werde sterben. Ich werde mein KellionKellion Kellion, das: Unterkunft, Kammer, Zelle; die Wohnung eines Mönchs. verlassen, meine Bücher werden darin zurückbleiben, meine Kleidung, mein Schreibtisch, an dem ich viele Stunden verbrachte. Ich werde all das zurücklassen, was ich während meiner Erdentage benötigt habe oder zu benötigen glaubte. Man wird meinen Körper aus diesen Gemächern hinaustragen und der Erde übergeben, aus der dieser menschliche Leib auch seinen Anfang genommen hat. Auch euch, Brüder, die ihr diese Zeilen lest, wird das Gleiche treffen. Auch ihr werdet sterben: Alles Irdische werdet ihr auf Erden zurücklassen und allein mit euren Seelen in die Ewigkeit eintreten.
Die Seele des Menschen nimmt die Charakterzüge an, die seinen Werken entsprechen. Wie sich in einem Spiegel die gegenüberliegenden Dinge widerspiegeln, so wird auch die Seele von den Eindrücken geprägt, die aus ihren Taten und Beschäftigungen herrühren und ihrer Situation entsprechen. In einem Spiegel, dem Gefühle fremd sind, verschwinden die Bilder einfach, wenn die Gegenstände vor ihm entfernt werden; in der vernunftbegabten Seele aber bleiben Eindrücke zurück. Sie können durch andere Eindrücke ausgelöscht und ersetzt werden, aber dafür braucht es Anstrengung und Zeit. Diejenigen Eindrücke, die der Seele zur Stunde des Todes anhaften, bleiben auf ewig ihr Eigen und gewähren ihr die ewige Seligkeit oder aber ewiges Leid.
Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Mt 6,24), sprach der Erlöser zu den gefallenen Menschen, als Er ihren Zustand wahrnahm, in den sie durch den Sündenfall gelangt waren. Gleichermaßen würde ein Arzt einem Kranken seine Lage erklären, in die er durch die Krankheit geraten ist und die der Kranke nicht von selbst verstehen kann. Unserer seelischen Zerrüttung wegen benötigen wir für unsere Erlösung die rechtzeitige Selbstverleugnung und Abkehr von der Welt. Niemand kann zwei Herren dienen; er wird entweder den einen hassen und den andern lieben oder er wird zu dem einen halten und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon (Mt 6,24).
Die Erfahrung bestätigt stets aufs Neue die Berechtigung dieser Sicht auf das sittliche Gebrechen der Menschen, wie sie der Allheilige Arzt in den hier angeführten Worten entschieden zum Ausdruck gebracht hat: Auf die Befriedigung eitler und sündiger Wünsche folgt stets eine Zuneigung zu ihnen; auf diese Zuneigung folgen Gefangenschaft und Abtötung gegenüber allem Geistlichen. Die es sich erlaubten, ihren Begierden und dem Trachten des Fleisches zu folgen, wurden davon eingenommen und versklavt; sie vergaßen Gott und die Ewigkeit, vergeudeten umsonst ihr irdisches Leben, starben den ewigen Tod.
Es ist unmöglich, sowohl den eigenen Willen aus auch den Willen Gottes zu erfüllen: Durch die Befolgung des ersten wird der zweite befleckt und wirkungslos. Ebenso verliert wertvollstes und überaus aromatisches Salböl durch die geringste Beimengung von Übelgeruch jeden Wert. Nur dann, lässt Gott durch den großen Propheten verkünden, werdet ihr das Beste des Landes essen, wenn ihr Mich hört. Wenn ihr euch aber weigert und auflehnt, werdet ihr vom Schwert gefressen. Ja, der Mund des Herrn hat gesprochen (Jes 1,19-20).
Es ist unmöglich, göttliche Vernunft zu erlangen, solange man im Trachten des Fleisches verbleibt. Denn das Trachten des Fleisches, sprach der Apostel, führt zum Tod … Das Trachten des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott; es unterwirft sich nämlich nicht dem Gesetz Gottes und kann es auch nicht (Röm 8,6-7). Was ist nun dieses Trachten des Fleisches? Es ist eine Denkweise, die aus dem Zustand, in den die Menschen durch den Sündenfall gelangt sind, entspringt und bei ihnen auf Erden zu einem Handeln führt, als ob sie ewig auf ihr lebten, zur Verherrlichung alles Vergänglichen und Zeitlichen, zur Geringschätzung Gottes und alles Gottgefälligen – eine Denkweise, die dadurch die Menschen ihrer Erlösung beraubt.
Entsagen wir unseren Seelen, nach dem Vermächtnis des Erlösers, um unsere Seelen zu gewinnen! Sagen wir uns aus freiem Willen von jenem gefallenen Zustand los, in den diese durch ihre freiwillige Abkehr von Gott gelangt sind, um von Gott den heiligen Zustand menschlichen Natur zu erlangen, der durch den menschgewordenen Gott erneuert worden ist! Unseren Willen und den Willen der Dämonen, dem unser Willen sich unterworfen und mit dem er sich vermischt hat, wollen wir durch den Willen Gottes ersetzen, wie er uns im Evangelium verkündet ist. Ersetzen wir das Trachten des Fleisches, wie es den gefallenen Engeln und den Menschen eigen ist, durch die göttliche Vernunft, die im Evangelium aufleuchtet!
Verzichten wir auf unseren Besitz, um die Fähigkeit zu erlangen, unserem Herrn Jesus Christus nachzufolgen! Der Verzicht auf Besitz vollzieht sich auf Grundlage eines adäquaten Begriffes von ihm. Die rechte Vorstellung von materiellem Besitz gibt uns das Evangelium (Lk 16,1-31). Wenn wir sie uns verschafft haben, wird unsere menschliche Vernunft sie gezwungenermaßen als wahr anerkennen: Irdischer Besitz ist nicht unser Eigentum, wie es fälschlich annimmt, wer nie über diese Frage nachgedacht hat. Denn sonst besäßen wir ihn für immer, hätten ihn auf ewig bei uns. Doch er geht von Hand zu Hand und bezeugt dadurch aus sich selbst, dass er lediglich zur Aufbewahrung überlassen wird. Das Eigentum liegt bei Gott, der Mensch ist lediglich sein zeitweiliger Verwalter. Ein treuer Verwalter wird den Willen dessen, der ihm die Verwaltung übertragen hat, genau erfüllen. Auch wir wollen uns bemühen, wenn wir das uns zeitweilig Anvertraute verwalten, dies nach dem Willen Gottes zu tun. Wir werden es nicht als Mittel zur Befriedigung unserer Gelüste und Laster verwenden, nicht als Mittel zu unserem ewigen Tod. Wir verwenden es vielmehr zum Nutzen der Menschheit, die doch so bedürftig ist und so sehr leidet. Wir verwenden es als Mittel zu unserer Erlösung. Jene, die christliche Vollkommenheit begehren, lassen vollkommen vom irdischen Besitzstreben ab (Mt 19,16-30). Jene, die ihre Erlösung begehren, sollen die ihnen möglichen Almosen spenden (Lk 11,41) und im Streben nach Besitz maßvoll sein.
Entsagen wir der Ruhmsucht und dem Ehrgeiz! Wir werden nicht Ehren und Titeln nachjagen und nicht, um sie zu erlangen, unzulässige und niederträchtige Mittel einsetzen, die das göttliche Gesetz, das Gewissen und das Wohl des Nächsten missachten. Solche Mittel aber nutzen bevorzugt jene, die irdischen Ruhm zu erlangen suchen. Wer besessen und getrieben von Ehrgeiz unersättlich nach menschlichem Ruhm strebt, der ist zum Glauben an Christus unfähig: Wie könnt ihr zum Glauben kommen, sprach Christus zu den Ehrgeizigen Seiner Zeit, wenn ihr eure Ehre voneinander annehmt, nicht aber die Ehre sucht, die von dem einen Gott kommt? (Joh 5,44). Wenn uns die göttliche Vorsehung irdischen Besitz und Macht zugestanden hat, dann lasst uns mit ihrer Hilfe zu Wohltätern der Menschheit werden. Verwerfen wir die finstere Hölle jenes dummen und schäbigen Egoismus, der so gefährlich für den menschlichen Geist ist, die von ihm infizierten Menschen zu Raubtieren und Dämonen macht, zu Plagen für die Menschheit und zu Übeltätern an sich selbst.
Lasst uns den Willen Gottes über alles liebgewinnen und ihn allem anderen vorziehen. Alles, was ihm entgegensteht, lasst uns hassen in gerechtem und gottgefälligem Hass. Wenn unsere aus Sünde beschädigte Natur sich gegen die Lehre des Evangeliums auflehnt, wollen wir unseren Hass ihr gegenüber dadurch ausdrücken, dass wir die Wünsche und Forderungen dieser Natur ablehnen. Je entschiedener wir unseren Hass auf diese Weise ausdrücken, desto entschiedener wird auch der Sieg über die Sünde und die sündenbeherrschte Natur ausfallen, desto schneller und unumstößlicher wird unser geistlicher Fortschritt sein.
Wenn Menschen, die uns dem Fleische nach nahestehen, sich anschicken, uns vom Befolgen des göttlichen Willens abzubringen, wollen wir ihnen gegenüber jenen heiligen Hass erweisen, wie ihn Schafe gegenüber Wölfen aufbringen, ohne sich dabei in Wölfe zu verwandeln und ohne sich mit ihren Zähnen gegen die Wölfe zu verteidigen.[1] Der heilige Hass gegen die Nächsten besteht in der Bewahrung der Treue zu Gott und darin, den befleckten Willen dieser Menschen nicht zuzulassen, und wären es auch die nächsten Verwandten; er besteht im großmütigen Dulden der von ihnen zugefügten Beleidigungen und im Gebet für ihre Errettung – keinesfalls aber in bösen Worten und den dazugehörigen Taten, in denen sich der Hass der gefallenen Natur ausdrückt, ein Hass, der Gott zuwider ist.
Denkt nicht, sprach der Erlöser, Ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen! Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn Ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter (Mt 10,34f). Ich bin gekommen, erklärt der Heilige Johannes Klimakos dieses Herrnwort, um die Gottliebenden von den Weltliebenden, die Fleischlichen von den Geistigen, die Ehrliebenden von den Demütigen zu trennen: Gottgefällig ist die Teilung und Trennung, wenn sie aus Liebe zu Ihm geschieht.[2]
Der Prophet nannte die Erde das Haus, in dem ich fremd war (Ps 118/119,54), sich selbst aber dort einen Gast und Fremdling: Ich bin ein Fremdling bei Dir, sprach er in seinem Gebet zu Gott, ein Gast wie alle meine Väter (Ps 38/39,13). Eine offenkundige, mit Händen zu greifende Wahrheit! Eine von den Menschen trotz ihrer Offensichtlichkeit immer wieder vergessene Wahrheit! Ich bin ein Gast auf der Erde: durch die Geburt bin ich eingetreten; durch den Tod gehe ich hinaus. Ich bin Fremdling auf Erden: Aus dem Paradies wurde ich hierher versetzt, wo ich mich durch die Sünde befleckt und entstellt habe. Ich werde von der Erde weggehen, aus dieser zeitweiligen Verbannung, in die mich mein Gott gebracht hat, damit ich in mich gehe, mich von meiner Sündhaftigkeit reinige und mich so wieder neu als geeignet für ein Leben im Paradiese erweisen möge. Bei fortgesetzter, unumkehrbarer Unverbesserlichkeit jedoch soll ich auf ewig in den Hades eingehen. Ich bin Gast auf Erden: Meine Wanderung beginne ich an der Wiege und beende ich mit dem Grab; ich durchwandere die Altersstufen von der Kindheit bis zum Greis, durchwandere verschiedene irdische Umstände und Zustände. Ich bin ein Fremdling bei Dir, ein Gast wie alle meine Väter. Auch meine Väter waren Gäste und Fremdlinge auf Erden, gelangten auf sie durch ihre Geburt und wurden von ihrem Boden fortgenommen durch den Tod. Hiervon gab es keine Ausnahmen: Keiner der Menschen ist für immer auf Erden geblieben. Auch ich werde gehen. Mein Dahinscheiden beginne ich bereits, meine Kräfte schwinden, ich unterliege dem Älterwerden. Ich gehe, ziehe fort von hier nach dem unabwendbaren Gesetz und der gebieterischen Ordnung meines Schöpfers und Gottes.
Überzeugen wir uns davon, dass wir Gäste auf Erden sind. Nur mit dieser Überzeugung können wir über unser Erdenleben ohne Irrtümer verfügen und es planen. Nur aus dieser Überzeugung heraus können wir ihm eine richtige Richtung geben und es verwenden, um statt Leerem und Eitlem, statt dem eigenen Verderben die selige Ewigkeit zu erlangen. Unser Fall ließ uns erblinden und schlägt uns weiter mit Blindheit! So sind wir gezwungen, uns langwierig mit Gewalt von den offenkundigsten Wahrheiten zu überzeugen, die ihrer Klarheit wegen eigentlich derlei Überzeugung nicht nötig hätten.
Ein Gast, der auf seiner Reise in einer Herberge anhält, schenkt diesem Haus keine besondere Aufmerksamkeit. Wozu Aufmerksamkeit, wenn er doch nur für kürzeste Zeit dort Quartier genommen hat? Er begnügt sich mit dem Nötigsten; er versucht sein Geld nicht zu vergeuden, das er für seine weitere Reise, für seinen Unterhalt in der großen Stadt, zu der er unterwegs ist, noch brauchen wird. Unbequemlichkeiten und Missstände trägt er mit Großmut, denn er weiß, dass es Zufälligkeiten sind, die alle Reisenden betreffen, und dass ihn ungestörte Ruhe dort erwartet, wohin er unterwegs ist. Er bindet sein Herz an keines der Dinge in der Herberge, wie interessant das eine oder andere ihm auch erscheinen mag. Er verschwendet keine Zeit an unwichtige Beschäftigungen, denn er braucht sie, um seine beschwerliche Reise zum Ende zu bringen. Ständig ist er in Gedanken an die großartige königliche Hauptstadt, zu der er unterwegs ist, an die bedeutenden Hindernisse, die dazu überwunden werden müssen, an die geeigneten Mittel zur Erleichterung seiner Reise, an Hinterhalte von Räubern, die am Wege lauern, an das glücklose Schicksal jener, denen es nicht vergönnt war, ihre Reise erfolgreich zu vollenden, und an die glückliche Lage jener, die mit dem erstrebten Erfolg ans Ziel gelangt sind. Wenn er eine bestimmte Zeit in der Herberge zugebracht hat, bedankt er sich beim Gastwirt für die erwiesene Gastfreundschaft und vergisst schon bald nach seiner Abreise die Herberge oder behält sie nur noch oberflächlich in Erinnerung, weil sein Herz ihr gegenüber gleichgültig geblieben ist.
Lasst uns gegenüber dieser Erde ein ebensolches Verhältnis finden. Verschwenden wir nicht unbedacht unsere seelischen und leiblichen Talente, opfern wir sie nicht dem Eitlen und Vergänglichen. Bewahren wir uns davor, dem Vergänglichen und Irdischen anzuhängen, damit es uns nicht daran hindert, das Ewige und Himmlische zu erlangen. Hüten wir uns davor, unseren stets unbefriedigten und unersättlichen Gelüsten zu huldigen, denn ihre Befriedigung vertieft nur unseren Fall und lässt ihn erschreckende Ausmaße annehmen. Bewahren wir uns vor Überfluss, begnügen wir uns mit dem wirklich Notwendigen. Richten wir unsere ganze Aufmerksamkeit auf das Leben, das uns nach dem Grabe erwartet und ohne Ende sein wird. Wir wollen Gott erkennen, denn Er hat uns aufgetragen, Ihn zu erkennen, und in Seinem Wort und in Seiner Gnade hat Er uns diese Erkenntnis geschenkt. Lasst uns im hiesigen Leben die Gemeinschaft mit Gott finden, denn Er hat uns engste Verbindung mit Sich gewährt und uns ein ganzes Leben als Frist eingeräumt, um dieses größte Werk zu vollenden. Außer der durch unser Erdenleben bestimmten Zeitspanne gibt es keine andere, in der diese wundersame Einung sich vollziehen könnte: Wenn sie sich in dieser Frist nicht vollzieht, dann vollzieht sie sich nimmermehr. Gewinnen wir die Freundschaft der Himmelsbewohner, der heiligen Engel und der entschlafenen heiligen Menschen, damit sie uns in die ewigen Wohnungen (Lk 16,9) aufnehmen. Gewinnen wir die Erkenntnis über die gefallenen Geister, jene bösartigen und hinterlistigen Feinde des Menschengeschlechts, um ihren Fallen und dem Schicksal zu entgehen, mit ihnen im Feuer des Hades zu enden. Das Licht auf unserem Lebensweg sei das Wort Gottes (Ps 118/119,105). Verherrlichen und danken wir Gott für die reichen Güter, die uns in der zeitlichen Herberge, auf der Erde, zur Befriedigung unserer Bedürfnisse im Überfluss gegeben worden sind. Vertiefen wir uns mit reinem NousNous Geist, Intellekt, Geistkraft des Menschen. "Das, was denkt". in die Bedeutung dieser Güter: Matte Abbilder der ewigen Güter sind es, die diese ewigen Güter nur so schwach und unzureichend wiedergeben wie ein Schattenwurf den Gegenstand, von dem er herrührt. Indem Gott uns irdisches Gut gewährt, verkündet Er uns geheimnisvoll: „Menschen! Eure zeitweilige Heimstatt ist mit unzähligen verschiedenen Gaben ausgestattet. Sie fesseln den Blick und erheben das Herz, und stillen eure Bedürfnisse im Überfluss: Schließt daraus auf jene Güter, mit denen eure ewige Wohnstatt geschmückt sein wird. Begreift die unendliche und unfassbare Güte Gottes zu euch und verhaltet euch nicht unklug, wenn ihr die irdischen Güter in frommer Weise bedenkt und betrachtet. Macht euch nicht zu ihren Knechten, verderbt nicht durch sie. Indem ihr sie wie geboten und notwendig benutzt, strebt mit allen Kräften danach, die himmlischen Güter zu erlangen.“
Halten wir uns von allen falschen Lehren und dem entsprechenden Handeln fern: Die Schafe Christi werden einem Fremden nicht folgen, sondern sie werden vor ihm fliehen, weil sie die Stimme der Fremden nicht kennen (Joh 10,5). Vergewissern wir uns der Stimme Christi, um sie sogleich zu erkennen, wenn wir sie hören, und um Seinem Gebot ohne Zögern zu folgen. Wenn wir in unserem Geist Gefühl für diese Stimme gewinnen, erlangen wir im Geist auch die Fremdheit gegenüber jener fremden Stimme, mit der das Trachten des Fleisches in den verschiedensten Tönen spricht. Fliehen wir, fliehen wir diese fremde Stimme, sobald wir sie vernehmen, nach Art der Schafe Christi, die sich durch Flucht vor der fremden Stimme in Sicherheit bringen: nämlich durch entschiedene Gleichgültigkeit zu ihr. Bereits Aufmerksamkeit ihr gegenüber bedeutet Gefahr: Denn auf die Beachtung folgt die Verführung, und auf diese der Tod. Der Fall unserer Vorväter begann damit, dass die Urahnin der fremden Stimme Aufmerksamkeit schenkte.
Unser Hirte ruft uns nicht nur mit der Stimme, sondern führt uns auch mit dem Beispiel Seines Lebens: Er geht Seinen Schafen voraus (Joh 10,4). Er hat uns die Entsagung von der Welt, die Entsagung von uns selbst, das Aufsichnehmen und Tragen des eigenen Kreuzes geboten: Er tat all dies Selbst vor unseren Augen. Christus hat für euch gelitten und euch ein Beispiel gegeben, damit ihr Seinen Spuren folgt (1 Petr 2,21). Es gefällt Ihm, das Menschsein auf Sich zu nehmen und ungeachtet Seines königlichen Geschlechts bis auf eine Stufe mit dem einfachen Volk hinabzusteigen. Seine Geburt vollzog sich in der Zeit der Wanderschaft Seiner allheiligen Mutter, für die sich in den Häusern der Menschen keine Herberge fand. Die Geburt vollzog sich in einer Höhle, wo das Vieh war; eine Futterkrippe diente dem Neugeborenen als Wiege. Kaum hatte sich die Kunde von Seiner Geburt verbreitet, schmiedete man bereits den Plan zu Seiner Vernichtung. Ein Säugling wird bereits verfolgt! Ein Neugeborenes wird gesucht, um es zu töten! Ein Neugeborenes flieht vor einem aufgebrachten Mörder durch die Wüste nach Ägypten! Seine Kindheit verbrachte der Gottmensch im Gehorsam gegenüber Seinen Eltern – dem anverlobten Vater und der natürlichen Mutter – und erwies so ein Beispiel der Demut für die Menschen in ihrem aus Stolz und dem davon herrührenden Ungehorsam verursachten Sündenfall. Seine Mannesjahre widmete der Herr der Predigt des Evangeliums. Er wanderte von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, ohne selbst eine Wohnstatt zu besitzen, Seine Kleidung bestand aus Rock und Hemd. Während Er den Menschen die Rettung verkündete und göttliche Wohltaten über sie ausgoss, wurden diese vom Hass auf Ihn ergriffen. Nicht nur einmal sammelten sie sich, Ihn zu töten. Zuletzt richteten sie Ihn hin wie einen Schwerverbrecher. Er erlaubte es ihnen, diese schrecklichste Untat zu vollbringen, nach der ihre Herzen dürsteten, denn Er wollte das verbrecherische Menschengeschlecht durch die Hinrichtung des Allheiligen vor ewigem Fluch und Verderben bewahren. Reich an Leiden war das irdische Leben des Gottmenschen: Beendet wurde es durch ein leidensreiches Sterben. Dem Herrn folgend, gingen alle Heiligen auf engen und schmerzlichen Wegen in die selige Ewigkeit ein, indem sie sich vom Ruhm und den Freuden dieser Welt lossagten, ihre fleischlichen Gelüste durch AskeseAskese geistliche Übung zur Schwächung der Leidenschaften (Fasten, Gebet, Nachtwachen, Verbeugungen usw.) zügelten, ihren Geist an jenes Kreuz Christi schlugen, das die Gebote des Evangeliums für den gefallenen menschlichen Geist darstellen, und sich verschiedenen Entbehrungen unterwarfen; sie wurden von boshaften Geistern verfolgt und auch von ihren Brüdern – den Menschen. Folgen wir Christus und dem Heer der Heiligen, das Ihm nachfolgte! Der Gottmensch hat die Reinigung von den Sünden bewirkt und Sich dann zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt (Hebr 1,3). Dorthin ruft Er jene, die Ihm nachfolgen: Kommt her, die ihr von Meinem Vater gesegnet seid, empfangt das Reich als Erbe, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist! (Mt 25,34) Amen.