Was wiegt die Seele?

Briefwechsel zwischen den heiligen Bischöfen Feofan der Klausner und Ignatij (Brjantschaninow)

Brief des heiligen Klausners Feofan

(als Antwort auf die ihm übersandten Exemplare der Schriften des hl. Ignatij)

Euer Exzellenz, gnädigster Erzhirte!

Ich möchte Eurer Exzellenz meinen aufrichtigen Dank für Euer wertvolles Geschenk ausdrücken. – Auch ohne solche Schenkung ist es ein Geschenk an die Orthodoxen. Vielleicht wird es die Eingeschlafenen wiederbeleben. Möge diese Gnade der Erweckung jedes dieser Bücher begleiten und jede Seele beim Lesen durchdringen. Bei all dem Guten, das von diesen Büchern ausgeht, werde ich davon absehen, zu ihrer Verbreitung beizutragen, bis ich von der Gültigkeit der darin enthaltenen Ansichten über die Materialität der Seele überzeugt bin. – Ich halte diesen Gedanken für unorthodox und gefährlich. – Die von Ihnen vorgelegten Beweise sind in keiner Weise überzeugend. – Andererseits waren sie für Euch schließlich überzeugend. – Daher schaue ich sie mir genauer an, um zu sehen, ob sich ein Aspekt darin eröffnet, der mir Licht in dieses dunkle Thema bringen kann. Oft erkennt man Dinge nicht, weil sie so ungewöhnlich sind. Und dies ist für mich eine unerhörte Neuigkeit. – Die Seele ist ätherisch! – Wer denkt bei uns so, wenn er zu Gott betet, auf das Himmlische hofft und dafür alles Irdische und Materielle aufgibt? – Mit Materie, egal wie man sie verfeinert, haben geistige Phänomene absolut nichts zu tun, und nirgendwo ist mir eine solche Lehre zu Ohren gekommen. – Bei denen, die darüber nachsinnen, gibt es zwei Ansätze: Einige denken, dass die Seele rein geistlich und helllicht ist, während andere glauben, dass sie – an sich geistig – über eine lichtglänzende Hülle verfügen, von der sie nicht trennbar ist – weder im Körper noch außerhalb des Körpers. Engel haben eine ähnliche Hülle. Diese Hüllen sind es, was man bei den Engeln und den scheidenden Seelen zuweilen sieht, die vernünftigen geistigen Prozesse und Handlungen aber sind dem reinen Geist selbst – der Seele – zugehörig. An die letztgenannte Ansicht habe ich mich immer gehalten, und das Festhalten an ihr war darin begründet, dass sie Erscheinungen und Visionen auf einfache Weise erklärt. Mittlerweile bin ich diesbezüglich im Zweifel und tendiere zum Erstgenannten, denn für eine solche Hülle gibt es keine Notwendigkeit. Sie kann von der Kraft des Geistes angezogen werden – die physisch ist und alles Materielle beherrscht, wann immer dies nötig ist. – Der Geist aber existiert, auch in diesem physischen Aspekt, aber er steht mit seiner rein geistigen Seite in der Reihe aller Geschaffenen und wirkt auf sie ein, gemäß der ihm in der Schöpfung verliehenen Macht. All dies kann man verschieden sehen, nur nicht zugunsten einer Materialität der Seele. Dies also ist mein Bekenntnis vor Euch! Segnet mich und betet für mich großen Sünder. Ich komme hier einfach nicht zur Ruhe. – Wie oft schicke ich mich an, Eurem Weg zu folgen. Wenn es mir nur gelingen würde! – Ich finde meiner Kurzsichtigkeit wegen den Ausgang nicht. Zuweilen bin ich kurz davor, zur Feder zu greifen und das Bittgesuch dafür zu schreiben; doch etwas stört mich in meiner Brust. – Und so bleibt es bei meinem Wunsch. Wir sitzen weiterhin am Ufer und warten auf günstiges Wetter. Die Sünden aber hören nicht auf zu bedrücken, die Leidenschaften versetzen weiter ihre Schläge von allen Seiten. Herr, erbarme dich unser. Ich wünsche Euch alles Gute vom Herrn. Mit tiefer Ehrfurcht und voller Ergebenheit habe ich die Ehre, der demütigste Diener Eurer Exzellenz zu sein,

Theophan, Bischof von Wladimir,

28. Mai 1865.


Antwort des heiligen Bischofs Ignatij

Euer Exzellenz, gnädigster Erzhirte und Vater!

Für Eure offenen Worte im Brief vom 28. Mai möchte ich Euch meinen aufrichtigen Dank aussprechen. Ich antworte darauf mit der gleichen Offenheit. Als ich in das asketische Leben und dann ins Kloster eintrat, hatte ich, obwohl ich verschiedene für diesen Weg charakteristische Erfahrungen machte, nur eine ungefähre Vorstellung von der Seele und den Geistwesen. Daher begriff und bezeichnete ich sie dem allgemeinen oberflächlichen Verständnis gemäß als körperlos und immateriell; es schien auch nicht nötig, weitere Überlegungen diesbezüglich anzustellen. Ich trat 1827 in das Kloster ein, hatte aber schon viel früher, man könnte sagen, von Kindesbeinen an, mit dem Studium der Heiligen Schrift und der Kirchenväter begonnen. Nach 1843 ergab sich, ohne dass es von mir selbst ausgegangen wäre, die Notwendigkeit, mich tiefer und genauer mit der Bedeutung der Seele und der geschaffenen Geistwesen zu befassen. Antonios der Große hat zu Recht angemerkt, dass dieses Wissen für Asketen äußerst notwendig ist. Besonders erforderlich ist es für jene Asketen, die in ihrer asketischen Praxis von Gottes Hand in den Kampf mit den Geistern geführt werden. Doch es hat erheblichen Nutzen auch für alle anderen: Es ist besser, die Welt der Geister schon vor dem Tod kennenzulernen und nicht erst, wenn der Tod eintritt, was viele zu ihrer größten Überraschung und ihrem größten Entsetzen erfahren mussten. Im Gegensatz zu Vorstellungen, die von westlichen Schwärmern übernommen wurden, beweist die Erfahrung mit aller Entschiedenheit die Wahrheit der Lehren der Väter. Das Dunkle und Geheimnisvolle wird dort sehr klar und einfach dargestellt. – Was das Wort Äther angeht, so bezeichnet die Chemie mit diesem Wort eine Materie, die sich von den irdischen Gasen völlig unterscheidet; jener ist unvergleichlich feiner, aber undefiniert und den Menschen völlig unbekannt. Seine Existenz wird aufgrund der unabweisbaren Tatsache anerkannt, dass der Raum hinter der Erdatmosphäre, wie jeder Raum im Allgemeinen, der Materie nicht fremd sein kann. Im eigentlichen Sinne immateriell, vom Raum nicht umschlossen ist nur Einer allein – Gott. Geschaffene Geister sind in Bezug auf uns körperlos. Aber ihre Natur bleibt für uns ebenso wie die Natur der Seele ungewiss, aufgrund der Unmöglichkeit, sie zu definieren. Die Wissenschaft erkennt die Unmöglichkeit an, unseren Körper zu definieren, ebenso wie alle Körper, die über organische Kraft – das Leben – verfügen. Descartes‘ Traum von der Unabhängigkeit der Geistwesen von Raum und Zeit ist durch und durch absurd. Alles, was begrenzt ist, hängt zwangsläufig vom Raum ab.

Eure Herde hat reichlich Nutzen durch Eure erbaulichen Worte und Euer Beispiel. Wenn Gottes Vorsehung Euch den Platz eines Leuchters zugedacht hat – wozu solltet Ihr ihn dann ohne Gottes Ruf verlassen? Vielleicht wird Euch diese Berufung zu gegebener Zeit offenbart! Vielleicht werden einmal alle Umstände einhellig dafür sprechen! Dann werdet Ihr in Frieden Euren Stuhl räumen; dann werdet Ihr euch ruhig in Euer KellionKellion Kellion, das: Unterkunft, Kammer, Zelle; die Wohnung eines Mönchs. zurückziehen, in den Vorhof zur Ewigkeit. Dann werdet Ihr, wenn Ihr in Eurem Kellion weilt, in den Anfechtungen des Kellions nicht von dem Gedanken beunruhigt, dass diese Versuchungen für die Vorwegnahme des Willens und der Anweisungen Gottes ergehen. Entschuldigt dieses Wort der Liebe!

Ich übergebe mich Euren heiligen Gebeten. Meine Kräfte und meine Gesundheit haben sich bis zum Äußersten verschlechtert; doch der barmherzige Herr schiebt den Ruf zu Seinem Gericht auf, denn Er weiß, dass ich nicht vorbereitet bin und gewährt mir Zeit zur ReueUmgeisten griech. metanoia: die Hinwendung des Nous (des menschl. Geistes) von der Sünde zu Gott durch Reue und Umkehr. Mit dem Gefühl usw., Eurer Exzellenz des gnädigsten Erzhirten und Vaters ergebenster Diener

Bischof Ignatij.

4. Juni 1865


„Unkörperlich und immateriell“, sagt der heilige Johannes von Damaskus, „wird ein Engel im Vergleich zu uns genannt. Doch im Vergleich zu Gott, dem einzig Unvergleichlichen, erweist sich alles als grob und materiell. Nur die Gottheit im strengen Sinne ist immateriell und unkörperlich.“ (Genaue Darlegung des orthodoxen Glaubens II, Kap. 3 „Über die Engel“). „Von Natur aus“, sagt derselbe Heilige, „ist nur Gott unkörperlich: Engel, Dämonen und Seelen sind aus Gnade und im Vergleich zur groben Materie unkörperlich.“ (Ebenda, Kap. 12 „Über den Menschen“. „Weder die Weisen in ihrer Weisheit“, sagt der heilige Makarios der Große, „noch die Klugen in ihrer Klugheit konnten die Subtilität der Seele verstehen oder erklären, wie sie existiert, sondern nur jene, denen der Heilige Geist die Erkenntnis und genaues Wissen über die Seele eröffnet hat. Du aber bedenke, urteile, beachte und höre, was sie ist: Jener ist Gott, sie aber ist nicht Gott; Jener der Herr, sie aber Sklavin; Er ist der Schöpfer und sie Kreatur, Er hat erschaffen, sie aber ist geschaffen; keinerlei Ähnlichkeit gibt es zwischen Seiner und ihrer Natur.“ (Hom. 49,4). „Obwohl wir“, sagt der hl. Cassianus der Römer, „viele Wesen geistig nennen, etwa die Engel, Erzengel und anderen Mächte, auch unsere Seele selbst oder die dünne Luft, dürfen wir diese doch auf keinen Fall als unkörperlich anerkennen. Sie haben jeweils einen Körper, in dem sie existieren, obwohl dieser unvergleichlich feiner ist als der unsere. Sie sind Körper, nach Ansicht des Apostels, der sagte: die himmlischen Körper und die irdischen Körper, und: Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein überirdischer Leib (1. Kor 15,40.44), was deutlich zeigt, dass Gott allein unkörperlich ist.“ (Hom 7,13) – Der ehrwürdige Cassianus wird von der Heiligen Orthodoxen Kirche als Heiliger Gottes geehrt (sein Gedenktag ist der 29. Februar). Er wird von den Papisten dafür verspottet und zu den semipelagianischen Häretikern gezählt, dass er schon zu Beginn des 5. Jahrhunderts die Römer wegen jener Abweichungen anprangerte, derer sie später das sechste Ökumenische Konzil bezichtigte, und belegte, dass das Christentum im Osten unvergleichlich vollkommener entwickelt ist als im Westen. Die Schriften des hl. Cassianus wurden, mit langen Kommentaren versehen, vom Jesuiten Alardus Gazaeus veröffentlicht [Opera omnia, cum commentariis, 1628; Alardus war allerdings Benediktinermönch, d. Üb.]. Der Herausgeber teilt die Abneigung seiner Sekte [gemeint sind die Jesuiten, d. Üb.] gegenüber dem Ehrwürdigen und kritisiert vielerorts sein heiliges Werk. Er kritisiert auch die Ansicht des Heiligen, dass Geister subtile Körper sind (Anmerkung b zu Hom. 7,13 und Anmerkung a zu Hom. 8,12). Alardus nennt diese Ansicht ein Paradoxon (eine neue, seltsame Lehre) und Nonsens, und widerspricht ihr mit der seiner Meinung nach allgemein akzeptierten Ansicht, dass Engel völlig körperlos, ganz und gar ätherisch und immateriell sind. Eine Kritik, die an sich keinerlei Beachtung verdient! Leider neigen jedoch auch bei uns einige zu der unklaren und vagen Ansicht des Jesuiten und zu den westlichen Spekulationen über die Unkörperlichkeit der geschaffenen Geistwesen. Die Heilige Schrift und die Heiligen Väter bezeichnen sie zwar ständig als körperlos und unstofflich – aber dies ist eine relative Bezeichnung, gemessen an den groben menschlichen Körpern und der groben materiellen Welt, keineswegs relativ zu Gott, Dem einen Geist. Allein Gott ist ganz Geist. Engel, sowohl heilige als auch gefallene, unterliegen Zeit und Raum. Das Konzept der Unterwerfung unter den Raum ist untrennbar mit dem Konzept der Unterwerfung unter die Form verbunden. Nachdem man das Konzept der Unterordnung der Engel unter den Raum abgelehnt hat, muss man entweder ihre Existenz insgesamt ablehnen oder sie als unendlich anerkennen, d. h. ihnen göttliche Allpräsenz zuschreiben. Nur zwei unbestimmte Größen – nämlich Nichts und Unendliches – gehorchen keiner Form; im Gegenteil, jede bestimmte Größe, egal wie groß oder klein, hat aufgrund ihrer Bestimmtheit selbst eine Form. Wenn man sich darauf geeinigt hat, dass Engel begrenzt sind, muss man akzeptieren, dass sie in Bezug auf den Raum eine Form haben und in Bezug auf die Subtilität ihrer Natur einen gewissen Grad dieser Subtilität, d. h. unweigerlich körperhaft sind, wie feiner Natur diese Körper auch sein mögen. Die Form eines begrenzten Wesens wird unbedingt sozusagen durch seine Grenzen, seine Extremitäten umrissen; die so umrissene Kreatur hat ihre eigene Form. Das Unendliche unterliegt keiner Form, da es in keiner Richtung ein Ende hat; aus dem gleichen Grund kann es keine Form haben. „Niemand hat Gott je gesehen“ (Joh 1,18). Ein unendliches Wesen kann kein Körper sein, weil es feiner ist als jegliche noch so hervorragende Feinheit, es ist vollkommen Geist. Ein solcher Geist, ein Wesen, das unvergleichlich mit jeder geschaffenen Kreatur ist, im Wortsinne ein Wesen ist Gott. Nicht nur der ehrwürdige Cassianus war der Meinung, dass Engel subtile Körper haben, sondern auch all jene Heiligen Gottes, die gewürdigt wurden, Engel des Lichts und der Finsternis von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Viele von ihnen wurden von Dämonen heftig geschlagen (zum Beispiel Antonios der Große); andere, die Kraft von Gott erhalten hatten, unterzogen die gefallenen Engel den Schlägen (siehe die Viten des heiligen Andreas am 2. Oktober und der heiligen Martyrerin Juliana von Nikomedien am 21. Dezember). Wie hätte solches geschehen können, wenn die gefallenen Engel völlig unkörperlich wären, wie der westliche Autor über sie sagt? Im Gegenteil, ihr offensichtlicher Kampf mit den Heiligen kann nur dadurch erklärt werden, dass man ihnen einen feinstofflichen Körper zugesteht. Alardus behauptet, die ehrwürdigen Väter der ägyptischen Sketis hätten die Idee der subtilen Körperlichkeit der Geistwesen vom griechischen Philosophen Platon entlehnt (Collatio 7,13), aber der große Makarios, der Begründer des Sketismönchtums, sagt, wie oben angeführt, dass dieses Wissen um die Subtilität des Wesens der Seele und damit der Geistwesen vor den Weisen dieser Welt verborgen ist und ausschließlich vom Heiligen Geist vermittelt wird. Die Lehre von den geschaffenen Geistern, die von der russischen Kirche und allen Orthodoxen im Osten akzeptiert wird, ist, wenn auch kurz, so doch sehr klar und eindeutig in der „Dogmatischen Theologie der Orthodoxen Katholischen Kirche des Ostens“ dargelegt, wie sie durch den Heiligsten Synod als Lehrbuch für die russischen Priesterseminare festgelegt wurde. In diesem Werk heißt es: „Sie (die Geister) sind unkörperlich. Die Heiligen Väter verstehen jedoch die Unkörperlichkeit von Engeln in einem begrenzten Sinne, nämlich dass sie nur im Vergleich zu uns, den mit grobem und schwerem Fleisch Bekleideten, unkörperlich sind. Der heilige Johannes von Damaskus sagt: Unkörperlich und unstofflich wird ein Engel im Vergleich mit uns genannt. Denn im Vergleich zu Gott, Dem einzig Unvergleichlichen, erweist sich alles als grob und stofflich. Allein die Gottheit ist im strengen Sinne immateriell. Jene aber sind unsichtbar. Diese Eigenschaft wird von den Vätern in begrenztem Umfang akzeptiert: Engel, Seele, Dämon, sagt der heilige Damaszener, haben zwar keine körperliche Grobheit, dennoch aber eine Form und Begrenzung, wie es ihrer Natur entspricht (7. Aufl. 1857, Kap. 97, S. 95 f.)

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