Über die Reinheit

(Ergänzender Text zu Band 6, orig. AE I 35, bzw. 28 der Edition 2014)

Nachfolgender Aufsatz bildet das Kapitel 35 des ersten Bandes „Asketische Erfahrungen“ des heiligen Bischofs Ignatij. In der deutschen Edition ist dieser Text nicht enthalten. Er ist in erster Linie an Mönche gerichtet, kann aber auch für Menschen interessant sein, die verwitwet oder getrennt sind und nunmehr eine enthaltsame Lebensweise in Erwägung ziehen.

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Die Übersetzung darf unter Angabe der Quelle (Ignatij.de) frei verwendet werden. Kommerzielle Verwendung bedarf unserer Zustimmung.


Über die Reinheit

Die Unzucht war schon zu Zeiten des Alten Testaments eine Sünde; sie war Sünde, weil sie Entehrung der Natur, Missbrauch einer wichtigen natürlichen Eigenschaft und ein Vergehen gegen die Gesetze der Natur bedeutet. Dieses Vergehen wurde als so schwerwiegend betrachtet, dass dem Schuldigen die Todesstrafe drohte. Im Neuen Testament gewann diese Sünde zusätzliches Gewicht, weil den menschlichen Leibern eine neue Würde zuteil wurde: Sie sind Glieder des Leibes Christi geworden, und wer ihre Reinheit verletzt, fügt zugleich Christus Schande zu, löst seine Verbindung mit Ihm, macht die Glieder Christi zu Gliedern einer Dirne (1 Kor 6,15). Der Unzüchtige wird mit dem Tod seiner Seele bestraft. Von denen, die in Sünde gefallen sind, weicht der Heilige Geist; der Sündige gilt als der Todsünde verfallen, einer Sünde, die mit dem Verlust der Erlösung verbunden ist, die unvermeidlich Tod und ewige Hadesqual bedeutet, wenn sie nicht rechtzeitig durchreuevolle UmkehrUmgeisten griech. metanoia: die Hinwendung des Nous (des menschl. Geistes) von der Sünde zu Gott durch Reue und Umkehr geheilt wird.

Was bedeutet Reinheit? Es ist die der Unzucht entgegengesetzte Tugend; sie entfremdet den Leib vom tatsächlichen Sündenfall und von allen Handlungen, die zur Sünde führen, den NousNous Geist, Intellekt, Geistkraft des Menschen. "Das, was denkt". von allen unzüchtigen Gedanken und Vorstellungen, das Herz von allen unzüchtigen Empfindungen und Neigungen; daraufhin wird auch der Leib selbst den Fleischeslüsten fremd.

Manche behaupten, es sein ein gleichermaßen schweres und bedeutendes Vergehen, leiblich der Unzucht zu verfallen oder aber mit dem Herzen und dem Nous. Sie stützen ihre Meinung auf die Worte des Heilands: Jeder, der eine Frau ansieht, um sie zu begehren, hat in seinem Herzen schon Ehebruch mit ihr begangen (Mt 5,28). Das ist nicht gerechtfertigt! Dies ist ergänzend zum alttestamentlichen Gebot gesagt worden; es wurde jenen gesagt, die nur leibliche Unzucht als Sünde ansahen und nicht verstanden, dass böse Gedanken, zu denen die Gedanken der Unzucht gezählt werden, aus dem Herzen kommen und den Menschen verunreinigen (Mt 15,19 f.), ihn von Gott trennen (Weish 1,3), ihm die Reinheit nehmen, mit deren Hilfe Gott erkannt wird. Das Berauschen an unzüchtigen Gedanken und Gefühlen ist Unzucht des Herzens und Verunreinigung des Menschen. Sie macht ihn unfähig zur Gemeinschaft mit Gott. Die Unzucht des Leibes ist im Gegensatz dazu eine Veränderung im ganzen menschlichen Wesen durch Vermischung mit einem anderen Leib (1 Kor 6,16); sie führt zur völligen Entfremdung von Gott, zu Tod und Verderben. Um sich aus dem ersten Zustand zu lösen, muss man nüchtern werden; um den zweiten zu überwinden, muss man wiederauferstehen, muss man durch ReueUmgeisten griech. metanoia: die Hinwendung des Nous (des menschl. Geistes) von der Sünde zu Gott durch Reue und Umkehr wiedergeboren werden.

Manche behaupten, es sei für einen Menschen unmöglich, von der Knechtschaft des Fleisches und umso mehr von unzüchtigen Gedanken und Empfindungen frei zu sein, und dass ein solcher Zustand wider die Natur sei. Gott aber gibt das Gesetz, und Er weiß besser als wir, was für uns möglich oder unmöglich ist: Daher ist es dem Menschen möglich, sowohl im Körper als auch im Herzen Reinheit zu erlangen. Gott, der Schöpfer der Natur, bestimmt das Gesetz: Daher steht Reinheit des Herzens der menschlichen Natur nicht entgegen. Sie steht lediglich im Widerspruch zur gefallenen Natur, entspricht aber der Natur in ihrem ursprünglichen Zustand und kann nach deren Erneuerung wieder ihr natürlicher Zustand werden. Sie kann angebaut und geerntet werden: Getreide, Gemüse, Bäume voller Früchte wachsen schließlich auf der Erde auch nicht von allein. Doch wenn der Acker gut vorbereitet wurde und nützliche Pflanzen darauf ausgebracht worden sind, dann wachsen diese in Fülle zur Nahrung und zum Genuss für die Menschen. Unbebautes Land aber bringt nur Unkraut oder Gras hervor, Nahrung für das Vieh, nicht aber für die Menschen. Es ist ein asketisches Werk erforderlich: Der Gegenstand dieser AskeseAskese geistliche Übung zur Schwächung der Leidenschaften (Fasten, Gebet, Nachtwachen, Verbeugungen usw.) ist es würdig, dass die dazu Auserwählten um seinetwillen mit aller Kraft und unter Mühen ihr asketisches Werk vollbringen. Reinheit wird in der Schrift als Heiligkeit bezeichnet: Das ist es, was Gott will, sagt der Apostel, eure Heiligung – dass ihr die Unzucht meidet, dass jeder von euch lernt, mit seiner Frau in heiliger und achtungsvoller Weise zu verkehren, nicht in leidenschaftlicher Begierde (1 Thess 4,3 ff.).

Die Reinheit der Eheleute liegt in der Treue der Ehegatten zueinander. Die Reinheit von Jungfrauen und Witwen, die sich Christus anverlobt haben, liegt in der Treue zu Christus. An sie gerade richtet sich mein dürftiges, tröstendes, ermutigendes, offenes Wort – ein Wort, das der Lehre der Wahrheit entlehnt ist: aus dem Allheiligen Wort Gottes in der Auslegung durch die Heiligen Väter, aus deren eigenem heiligen Wort und aus der Erfahrung.

Als der Herr die willkürliche, vom mosaischen Gesetz erlaubte Scheidung untersagte und erklärte, dass das von Gott Gebundene vom Menschen, außer im Falle einer bereits durch Unzucht eines Gatten besiegelten Trennung, nicht aufgelöst werden kann, da warfen die Jünger des Herrn die Frage nach einem ehelosen Leben auf. Dazu sagte der Herr: Nicht alle können dieses Wort erfassen, sondern nur die, denen es gegeben ist (Mt 19,11 f.). Wer ist es, dem solches gegeben ist? An welchem Merkmal soll jeder von uns seine Fähigkeit und Unfähigkeit, ein eheloses Leben zu führen, beurteilen und erkennen? Wir entlehnen die Antwort den Schriften der Heiligen Väter: an unserem Willen. – Die Fähigkeit dazu wird denen gegeben, die Gott aus aufrichtigem Herzen darum bitten, sagt der selige Theophylakt von Ohrid, denn: „Bittet“, sagte der Herr,und es wird euch gegeben; sucht und ihr werdet finden“ (Mt 7,7 f.). Die Aufrichtigkeit der Bitte erweist sich in einem dieser Bitte entsprechenden Lebenswandel und in der Beständigkeit der Bitte, auch wenn ihre Erfüllung mehr oder weniger lange auf sich warten lässt, auch wenn unser Wunsch von unterschiedlichsten Anfechtungen versucht wird. Die eigenen asketischen Werke eines Mönchs, durch die er sich stärkt, um den Charakter seiner gefallenen Natur zu befehden und zu wenden, sind nur Belege für die Wahrhaftigkeit seines Willens. Der Sieg über diese Natur und ihre Verwandlung gehören dem einen Gott. Wo die Natur besiegt ist, sagt der heilige Johannes Klimakos, wird das Eintreten Dessen erkannt, Der über der Natur steht.[1] Gott wendet die natürliche Neigung bei dem, der seinen aufrichtigen Wunsch nach Änderung dieser Neigung mit allen Mitteln unter Beweis stellt, über die er verfügt. Dann berührt der Geist Gottes den menschlichen Geist, worauf dieser, wenn er die Berührung durch den Geistes Gottes verspürt hat, mit allen Gedanken und Empfindungen nur noch zu Gott strebt, weil er die Anhänglichkeit an die Objekte der fleischlichen Begierde verloren hat.[2] Dann bewahrheiten sich die Worte des Apostels: Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein Geist mit Ihm (1 Kor 6,17). Dann wird auch der Leib selbst dorthin mitgezogen, wohin der Geist strebt.

Durch ihren in der Praxis bewiesenen und bezeugten Willen bewahrten viele, die keine Frau erkannt hatten, bis zum Ende ihres Lebens diesen glückseligen Zustand und behielten ihre Jungfräulichkeit. Andere erhielten sich nach ihrem Eheleben eine makellose Witwenschaft, noch andere fanden von einem verdorbenen Leben zu einem Leben in Keuschheit und Heiligkeit zurück. Einige schließlich, die in ihrem Willen untreu geworden waren, kehrten zu ihm zurück und stellten ihre verlorene Keuschheit durch ihre Reue wieder her. Sie alle enthielten sich nicht nur davon, mit ihrem Leib in Unzucht zu verfallen, sondern traten auch in einen Kampf mit den leidenschaftlichen Gedanken und Gefühlen ein, widersetzten sich ihnen und besiegten sie. Von Gott empfingen sie die Freiheit der Reinheit, der jede Gemeinschaft mit der Sünde völlig fremd ist, selbst wenn diese nicht von ihren Anfechtungen ablässt. Genauso hört schlechtes Wetter auf, einen Reisenden zu beschweren, sobald dieser Schutz in einem behaglichen Haus findet, auch wenn das Unwetter sich fortsetzt oder gar noch stärker zu wüten beginnt. – Geliebte Brüder, Mönche! Lassen wir uns nicht einschüchtern und entmutigen. Achten wir nicht auf die Dämonen, die uns Misstrauen gegenüber unserem erwählten Weg einflößen; achten wir nicht auf menschliche Urteile und Ratschläge, die aus Unwissenheit oder aus Verderbtheit und Bosheit entspringen. Glauben wir dem Herrn, unserem Gott, Der versprochen hat, uns zu erhören und uns zu helfen, solange wir Ihm treu bleiben. Wir bezeugen diese Treue durch ständiges Streben nach Ihm und durch ständige BußeUmgeisten griech. metanoia: die Hinwendung des Nous (des menschl. Geistes) von der Sünde zu Gott durch Reue und Umkehr für unsere Abweichungen von diesem Streben. Es ist unmöglich, keinerlei dieser größeren oder kleineren Verfehlungen zum Opfer zu fallen, denn wir sind schwach und begrenzt, unsere Natur ist durch Sünde beschädigt, unsere unsichtbaren Feinde sind boshaft, und die Zahl der Versuchungen hat sich bis ins Unendliche vervielfacht. Von kurzer Dauer ist unsere Mühe, nicht lange müssen im Kampf mit uns selbst leiden! Bald wird die Todesstunde kommen, die uns der Qual dieses Kampfes und der Gefahr, in Sünden zu fallen, entreißen wird. Oh! Würden wir doch nur in jener Stunde an den Toren der Ewigkeit die Arme des himmlischen Vaters für uns geöffnet sehen und Seine tröstende Stimme vernehmen: Sehr gut, du tüchtiger und treuer Diener. Über Weniges warst du treu, über Vieles werde Ich dich setzen. Komm, nimm teil am Freudenfest deines Herrn! (Mt 25,23). Lasst uns bis zu dieser Stunde mutig vorangehen, dabei keinesfalls auf unser Fleisch vertrauen und uns nicht auf unsere wirkliche oder eingebildete Leidenschaftslosigkeit verlassen. Alle, die auf sich selbst, auf die Abtötung ihres Fleisches oder auf ihren leidenschaftslosen, gnadenerfüllten Zustand vertraut haben, sind schlimmen Anfechtungen ausgesetzt worden.

Der heilige Isaak der Syrer sagte: Diejenigen, die sich nicht willkürlich von den Ursachen der Sünde fernhalten, werden zuweilen gegen ihren Willen von der Sünde hingerissen.[3] Diese Regel, die sich auf das klösterliche Leben im Allgemeinen bezieht, ist besonders wichtig für diejenigen, die in den Kampf mit dem vom Sündenfall herrührenden Charakter ihrer Natur eingetreten sind. Es hilft uns, wenn wir die Frucht, auf die wir verzichtet haben, erst gar nicht sehen. Aus diesem Grund verboten die Regeln der Heiligen Väter dem weiblichen Geschlecht, die Klöster von Mönchen zu betreten, was auf dem Berg Athos immer noch eingehalten wird. In der Vita des heiligen Johannes Klimakos heißt es, dass er durch ein Leben in der Einöde und die Enthaltung vom Betrachten fremder Antlitze schließlich die Flamme der Lust in sich selbst auslöschte. Alle Heiligen Väter versuchten, sich so weit wie möglich von der Bekanntschaft und Gemeinschaft mit Frauen fernzuhalten, und geboten uns in ihren seelenrettenden, von Gott inspirierten Schriften ein ebensolches Verhalten. Die Väter, denen die leichte Verführbarkeit des Menschen bewusst war, vertrauten weder auf ihre Heiligkeit noch auf ihr Alter oder ihre Unfähigkeit zu sündigen. Bis an ihr Lebensende hörten sie nicht auf, sich vor den Anlässen für die Sünde zu verbergen: Ein solcher Rückzug ist das stärkste Mittel, um die Sünde zu besiegen. Als der ehrwürdige Sisoes der Große sehr alt geworden war, schlug ihm sein Schüler Abbas Abraham vor, näher zu den Siedlungen der Menschen zu ziehen. Darauf erwiderte der neunzigjährige Altvater: „Lass uns dorthin gehen, wo es keine verheirateten Frauen gibt.“ Der Schüler entgegnete: „Wo wäre solch ein Ort, an dem es keine Frauen gibt, außer in der Wüste?“ Der Altvater antwortete: „So finde für mich einen Platz in der Wüste, mein Sohn.“[4] Der gute Wille eines Menschen wird abseits von Versuchungen gestärkt und erhält dort außergewöhnliche Festigkeit und Kraft; ist er dagegen den Versuchungen ausgesetzt, wird er nach und nach schwach werden und schließlich vollständig verderben. Ebenso wird Eis in der Kälte kräftiger und kräftiger, doch wenn es der Hitze ausgesetzt wird, schmilzt es und verschwindet ganz und gar. Brüder! Es ist ratsam für uns, sich von der Bekanntschaft mit Frauen fernzuhalten, insbesondere von enger Bekanntschaft, von häufigen Begegnungen und Unterhaltungen mit ihnen. Die ihr euch aufmacht, die Natur zu überwinden! Begreift, dass dieser Sieg unmöglich ist, wenn wir uns ständig dem Einfluss der Natur aussetzen und ihre Wirkung in uns entfachen.

Der ehrwürdige Poimen der Große sagte zu einem von unzüchtiger Leidenschaft Gequälten: „Wenn ein Mönch Bauch und Zunge bändigt und die Zurückgezogenheit bewahrt, dann wird er nicht sterben“[5] – er wird den Tod der Seele nicht erleiden, der jeden in Unzucht Gefallenen ereilt. Unter Zurückgezogenheit ist hier der Verzicht auf ein Leben der Zerstreuung, des freizügigen Umgangs, der vielfältigen und kurzen Bekanntschaften zu verstehen, aus denen sich die Fleischeslust entzündet. – Der ehrwürdige Isaias der AnachoretAnachoret Anachoret: zurückgezogen von der Gemeinschaft lebender Mönch, entweder im Kloster oder als Eremit/Einsiedler sagte, dass unzüchtige Anfechtung aus den folgenden fünf Quellen gespeist wird: aus leerem Geschwätz, Eitelkeit, viel Schlaf, dem Herausputzen mit Kleidern und der Völlerei.[6] Von den Quellen der Erregung der Begierde wirken zwei besonders kraftvoll und verderbenbringend: Verstöße gegen die Zurückgezogenheit und die Völlerei. Es ist schwer zu entscheiden, was von beidem schädlicher ist! Beides ist tödlich. Wer sich auch nur einem davon unterwirft und zum Knecht macht, wird im Kampf gegen seine Natur nicht bestehen können.

Um Reinheit zu erreichen, muss beides zurückgewiesen werden. Achten wir besonders darauf, uns vor diesen Hauptquellen der Erregung von Begierde zu bewahren, und lassen wir die dabei die übrigen Quellen nicht außer Acht: Schützen wir uns auch vor ihnen. Auch ein geringer Anlass gewinnt aus der Gewohnheit und aus Achtlosigkeit ihm gegenüber große Kraft. Manche zum Beispiel fasten, leben allein, verzichten auf Besitz und flehen Gott an, die Begierden ihrer Natur zu zügeln, doch gleichzeitig erlauben sie sich, ihre Nächsten zu verleumden, zu tadeln, zu verurteilen oder zu verspotten. So weicht Gottes Hilfe von ihnen; sich selbst überlassen, finden sie keine Kraft, den sündigen Regungen der gefallenen Natur zu widerstehen. In einem KoinobionKoinobion Gemeinschaftskloster, Mönchsgemeinschaft (im Gegensatz zu anachoretisch, d. h. einzeln lebenden Mönchen) lebte ein Klausner namens Timotheos. Einmal geriet einer der Mitbrüder in Versuchung. Als der Vorsteher davon erfuhr, fragte er Timotheos, was er mit seinem gefallenen Bruder tun solle. Der Klausner riet, den Versuchten hinauszuwerfen. Als man das getan hatte, ging die Versuchung des gefallenen Bruders auf Timotheos über und brachte ihn in Gefahr. Timotheos begann unter Tränen zu Gott um Hilfe und Barmherzigkeit zu flehen. Da erging ihm eine Stimme: „Timotheos! Wisse, dass Ich dir diese Versuchung geschickt habe, weil du deinen Bruder geringgeschätzt hast, als dieser versucht wurde.“[7] Mit den Gliedern Christi, den Christen, muss man sehr vorsichtig und umsichtig sein: Man soll ihnen in ihren Leiden mitfühlen und darf nur solche von ihnen verwerfen, wo keine Hoffnung mehr auf Genesung ist und nur andere von ihrer Krankheit angesteckt werden.

Überaus wichtig ist die Bewahrung des Leibes vor dem Fall in die Unzucht, doch das allein reicht nicht für jene gottgeliebte Reinheit, in der Gott geschaut wird. Wir haben die unabdingbare Pflicht, auch unsere Seele von begehrlichen Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen zu reinigen, wie unser Heiland es uns befohlen hat. Der ehrwürdige Makarios der Große sagt: Wie sich der Leib verunreinigt, wenn er sich mit einem anderen Leib paart, wird auch die Seele verdorben, wenn sie sich mit bösen und schmutzigen Gedanken verbindet und einlässt. Wenn jemand die Seele und den Nous verdirbt, weil er dem Bösen zustimmt, ist er des Todes schuldig. Sowohl der Leib muss vor sichtbarer Sünde bewahrt werden als auch die Seele vor unkeuschen Gedanken: Denn sie ist die Braut Christi.[8] Nachdem wir uns der Quellen der Sünde entledigt haben – also der häufigen Unterhaltung und engen Bekanntschaft mit dem weiblichen Geschlecht, des freizügigen Umgangs, des zerstreuten Lebens, der Völlerei und Gaumenfreuden, des Luxus und Überflusses an Kleidern und sonstigem Hausrat, der Verurteilung des Nächsten, übler Nachrede, des Spottes, leeren Geredes und Geschwätzes – so lasst uns den festen Entschluss fassen, auch dem Ergötzen an unkeuschen Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen zu entsagen. Lasst uns in uns selbst solche Gedanken nicht wecken und sie mutig abwehren, wenn sie uns aus unserer gefallenen Natur entgegentreten oder von den Feinden unserer Erlösung – den Dämonen – eingegeben werden. Der heilige Hesychios von Jerusalem sagt: „Nicht jeder, der zu Mir sagt: Herr! Herr!“, sprach der Herr, „wird in das Himmelreich kommen, sondern wer den Willen Meines Vaters im Himmel tut“ (Mt 7,21). Der Wille Seines Vaters aber ist dieser: „Die ihr den Herrn liebt, hasst das Böse!“ (Ps 96/97,10). Üben wir uns also im Gebet Jesu Christi und hassen wir böse Gedanken. So wollen wir den Willen Gottes tun.[9] Und der Apostel gibt uns auf: Reinigen wir uns also von aller Unreinheit des Leibes und des Geistes (2 Kor 7,1).

 Die Heiligen Väter gebieten, auf den Kopf der Schlange zu achten (Gen 3,14 f. kslw.), das heißt, den Anfang eines sündigen Gedankens zu erkennen und ihn abzuwehren. Das gilt für alle sündigen Gedanken, vor allem aber für jene der Wollust, denen die gefallene Natur beispringt, weshalb sie besondere Wirkung auf uns haben. Der ehrwürdige Cassianus gebietet dem Novizen, es sofort dem Altvater zu bekennen, wenn ihm ein sündiger Gedanke kommt.[10] Dieser Weg ist vortrefflich, er ist der beste für einen Anfänger. Aber auch für einen Fortgeschrittenen ist er zuweilen äußerst notwendig und jedenfalls immer nützlich, da er entschieden mit der Freundschaft zur Sünde bricht, zu der die gefallene, kranke Natur neigt. Gesegnet, wer diese Methode für sich anwenden kann! Gesegnet der Novize, der einen Altvater gefunden hat, dem er seine Gedanken offenbaren kann! Für jene Mönche, die nicht diese Möglichkeit haben, sich ständig mit den Altvätern abzustimmen, gebieten die Väter, dass sie einen sündigen Gedanken, der ihnen erschienen ist, sofort abwehren müssen, ohne sich auf ihn einzulassen oder mit ihm in den Dialog zu treten, weil dadurch unausweichlich die Sünde angezogen wird. Sie sollen sich vielmehr dem Gebet zuwenden. Mit größtem Erfolg und größtem Nutzen verwendete die heilige Maria von Ägypten diese Methode, wie aus ihrer Vita hervorgeht.[11] Wenn jemand, sagt der ehrwürdige Nil von der Sora, bei jeder Widrigkeit und bei jedem Gedanken, der vom Feind eingeflößt wird, unter Tränen zur Güte Gottes um Hilfe fleht, wird er schon bald Frieden empfinden, wenn er vernünftig betet.[12]Wie das Feuer trockenes Astwerk aufzehren kann, so ist es den reinen Tränen eigen, jegliche Beschmutzung des Fleisches und des Geistes auszulöschen, sagt der heilige Johannes Klimakos.[13]

Wenn wir in der Einsamkeit von wollüstigen Gedanken und Vorstellungen angegriffen werden und davon der Leib übermäßig entflammt wird, müssen wir vor den heiligen Ikonen auf unsere Knie und auf den Boden fallen, wie es die große Maria von Ägypten praktizierte, und unter Tränen und Wehklage Gott um Gnade anflehen. Unsere Erfahrungen werden uns schon bald die Nähe Gottes und Seine Macht über unsere Natur erweisen. Dies wird uns lebendigen Glauben schenken, und der lebendige Glaube wiederum wird uns mit außergewöhnlicher Kraft inspirieren und fortwährende Siege schenken. Seien wir nicht erstaunt, wenn selbst nach langem Kampf, gefolgt von einer ebenso langen Ruhe, die uns schon daran glauben ließ, wir hätten das Gift und Verderben aus der wollüstigen Neigung unserer Natur abgetötet, erneut ein heftiger Kampf entbrennt und die unkeuschen Begierden und Regungen erneut im Leib lebendig werden.[14] Unser Feind ist schamlos; er hört nicht auf, seine Pfeile gegen die größten Heiligen Gottes zu richten: Seine Erfahrung hat ihm gezeigt, dass seine Versuche manchmal von Erfolg gekrönt sind, dass selbst Gefäße des Heiligen Geistes zu Fall kommen können und besiegt werden, wie es jenem Geistträger erging, der abends auf dem Dach seines königlichen Palastes wandelte (2 Sam/Kön 11,2). Unser Fleisch ist ein untreuer Freund: Es begehrt nach anderem Fleisch, nicht nur aus eigenem Antrieb, sondern auch aus fremdem Antrieb, aus dem Antrieb des gefallenen Geistes, der sich an den Befleckungen des Fleisches ergötzt, das ihm nicht gehört. Unerwartet stellt das Fleisch seine unkeuschen, anmaßenden und lautstarken Forderungen! Aus diesem Grund sagte der ehrwürdige Poimen der Große: Wie ein Waffenträger des Königs stets wachsam vor ihm steht, so muss die Seele immer bereit sein gegen den Dämon der Unzucht.[15]

Das Leben und Wirken der frühen Mönche können wir in vielerlei Hinsicht nur bestaunen, keinesfalls jedoch nachahmen; wir können jene lediglich als ein Wunder Gottes betrachten und Gott dafür verherrlichen, dass Er schwachen Menschen solch unbegreifliche Kraft und Heiligkeit gab. Zu ihrer Praxis gehörte auch folgende Methode der fortgeschrittenen Mönche der ersten Jahrhunderte des Mönchtums im Kampf gegen lüsterne Gedanken und Vorstellungen: Sie wehrten einen solchen Gedanken nicht unverzüglich ab, sondern ließen einen gewissen Einfluss zu, ließen ihn, wie sie sagten, „eintreten“, um dann mit ihm zu kämpfen. – Der ehrwürdige Poimen der Große war, bevor er selbst Vollkommenheit erlangte, stets bestrebt, durch den Rat und die Anweisungen der heiligen Altväter seiner Zeit erbaut zu werden. Er wandte sich um Rat an Abbas Joseph, der in Panethos die Hesychia übte. Einmal fragte Poimen den Abbas: „Was soll ich tun, wenn mich Begierden überkommen? Soll ich ihnen widerstehen oder sie hereinlassen?“ – Der Altvater antwortete: „Lass sie eintreten und kämpfe mit ihnen.“ Nachdem Poimen diese Antwort erhalten hatte, kehrte er zur Sketis zurück, um zu schweigen. Dann geschah es, dass ein Mönch aus Thebais in die Sketis kam und den Brüdern erzählte: „Ich fragte Abbas Joseph: Wenn mich Begierden überkommen, soll ich ihnen widerstehen oder sie hereinlassen?, und jener antwortete mir: Lass auf keinen Fall die Begierden herein, sondern schneide sie sofort ab.“ Als Abbas Poimen hörte, dass Vater Joseph so zu dem thebaischen Mönch gesprochen hatte, ging er erneut zu ihm nach Panethos und sagte: „Abbas! Ich habe dir meine Gedanken nicht verheimlicht, aber du hast mir das eine gesagt und dem thebaischen Mönch etwas anderes.“ Der Altvater aber antwortete ihm und sprach: „Weißt du nicht, dass ich dich liebe?“ „Ich weiß es“, antwortete Poimen. „Hast du mich“, fuhr der Altvater fort, „etwa nicht selbst darum gebeten, ich solle dir dasselbe sagen, was ich mir selbst sagen würde? Wenn Begierden über dich kommen und du sie hereinlässt, um dann mit ihnen zu kämpfen, dann wirst du dadurch geschickter. Ich habe es dir wie mir selbst gesagt. Aber wenn die Novizen von Begierden heimgesucht werden, dann ist es für sie nicht sinnvoll, sie hereinzulassen; vielmehr müssen sie diese sofort von sich weisen.“[16]

Aus einer seiner Antworten zu einem vergleichbaren Sachverhalt aus der Zeit, als Poimen der Große bereits zum Lehrer der Mönche geworden war, lässt sich ableiten, dass es Mönchen, die noch Anteil an den Leidenschaften hatten, verboten war, unzüchtigen Gedanken Einlass zu gewähren; dagegen war es jenen erlaubt, die einen engelgleichen Lebenswandel führten.[17] Die bloße Existenz dieser Methode erklärt sich aus dem erhabenen geistlichen Fortschritt des Mönchtums jener Zeit im Allgemeinen: Es ist offensichtlich, dass für eine solche Praxis der Zustand der Leidenschaftslosigkeit erforderlich ist. Die späteren Väter haben diese Methode als sehr gefahrvoll betrachtet und sie, wahrscheinlich aufgrund schlechter Erfahrungen, allen Mönchen überhaupt untersagt. Gelüste nicht danach, sagte der heilige Isaak der Syrer, dein Denken in unzüchtigen Gedanken oder Schlechtigkeit oder bei Menschen, die dich in Versuchung führen, auf die Probe zu stellen, indem du vermeinst, dass du ihnen nicht unterliegen wirst, weil auf diese Weise auch sehr weise Menschen verwirrt und töricht geworden sind.[18] Wir müssen uns an diese Weisung halten.

Aus den Viten der heiligen Gottesgefälligen wissen wir, dass einige von ihnen einen starken und anhaltenden Kampf mit unzüchtigen Gedanken und Gefühlen aushielten und aus einem leidenschaftlichen Zustand in den leidenschaftslosen gelangten. Nicht nur solche Asketen, die wie der heilige Moses der Äthiopier und Maria von Ägypten zuvor ein verdorbenes Leben geführt hatten, wurden diesem Kampf ausgesetzt, sondern auch Jungfräuliche wie der heilige Narr in Christo Symeon, Johannes der Vieldulder vom Höhlenkloster und andere. Die Härte des Kampfes trug sie zu stärksten, übernatürlichen asketischen Werken empor. Weil aber die göttliche Gnade stets nach dem Maße der vorangegangenen Prüfungen und Mühen geschenkt wird, wurden den erwähnten Heiligen, ihrer außergewöhnlichen Leistung und der Heftigkeit des ihnen zugelassenen Kampfes wegen, außergewöhnliche Gnadengaben zuteil. Sowohl ihr Kampf als auch ihr asketisches Werk stellen in der Geschichte der Askese außergewöhnliche Ereignisse dar: Sie können nicht als Leitfaden für alle Asketen dienen. Man darf und soll, den eigenen Möglichkeiten entsprechend, der Willensstärke und Entschlossenheit, dem Glauben und der Selbstaufopferung jener Heiligen Gottes nachahmen, doch ihre Leistung selbst bleibt unnachahmlich. Überhaupt erkennen die Umsichtigsten unter den Vätern an, dass im Kampf mit den Begierden der Natur Vernunft und Maßhalten beim Verzicht auf Nahrung und anderer Leibesaskese notwendig sind; dass die Fleischeslust durch diese Askese nur gezügelt, jedoch nur durch Demut und betende Trauer besiegt werden kann, durch die der Asket die göttliche Gnade anzieht; dass übermäßige Leibesaskese mehr schadet als nützt, wenn sie die körperlichen Kräfte unnötig schwächt und einen daran hindert, sich auf Gebet, Trauer und Demut einzulassen. Im Paterikon findet man die folgende Geschichte: Ein gewisser frommer Mann in Ägypten verließ seine Frau und seine Kinder, entsagte der Welt und zog in die Wüste. Da entfachte der Dämon der Unzucht gegen ihn einen schweren Kampf, da er ihm die Erinnerung an seine Frau nahelegte. Er bekannte dies den Vätern. Als jene sahen, dass er ein Asket war und alles erfüllte, was ihm angewiesen wurde, erlegten sie ihm ein besonderes asketisches Werk auf, das sie aus verschiedenen Viten der Heiligen Väter erfunden hatten. Dieser Askese wegen wurde er jedoch so schwach, dass er bettlägerig wurde. Durch die Vorsehung Gottes gelangte ein Altvater aus der Sketis dorthin. In der ägyptischen Sketis – so hieß eine karge und wilde Wüste, die nicht weit von Alexandria entfernt war – lebten ehrwürdige Mönche, die besonders reich an Gnadengaben und der Gabe der geistigen Nüchternheit waren. Der Sketiker besuchte den Kranken und fragte ihn: „Abbas! Warum bist du krank?“ Jener antwortete: „Ich bin einer der Verheirateten, kam kürzlich erst in diese Einöde und wurde vom Widersacher meiner Frau wegen angefochten. Dies habe ich den Vätern gestanden. Sie erlegten mir verschiedene Werke auf, die sie den Viten der Heiligen Väter entnommen hatten. Als ich anfing, mich darin zu üben, geriet ich Erschöpfung, und die Anfechtung in meinem Leib wurde nur noch stärker.“ Als der Sketis-Altvater dies hörte, wurde er traurig und sagte zu ihm: „Die Väter besitzen Kraft und haben dir richtig gewiesen, dies zu tun. Aber wenn du möchtest, so höre auf meine Demut und lasse von der Ausführung dieser Werke ab, nimm zu gegebener Zeit eine maßvolle Menge an Nahrung zu dir, halte dich an eine maßvolle Regel und lege all deinen Kummer auf den Herrn: Er wird den Feind überwinden, der gegen dich kämpft. Durch deine eigene asketische Leistung wirst du diesen Kampf nicht gewinnen können.“ Der angefochtene Bruder begann, sich gemäß dem Rat des Sketis-Altvaters zu verhalten: Nach einigen Tagen fühlte er sich von seiner Krankheit befreit, und die Anfechtung ließ von ihm ab.[19] Der für seine besondere Gabe geistiger Unterscheidung bekannte Sketismönch Agathon wurde einmal nach der Leidenschaft der Unzucht gefragt. Er antwortete dem, der gefragt hatte: „Geh, wirf deine Kraft vor Gott in den Staub, und du wirst Frieden finden.“[20] Ähnliche Antworten zu dieser Sache haben auch andere große Väter gegeben. Völlig richtig und wahr! Wenn nur Gott die Natur verändern kann, dann ist das Bewusstsein für die Beschädigung der Natur infolge des Sündenfalls, verbunden mit dem demütigen Gebet um Heilung und Erneuerung dieser Natur durch ihren Schöpfer, die stärkste und wirksamste Waffe im Kampf mit dieser Natur. Diese Waffe wird geschwächt, wenn man sich auf sich selbst verlässt, was in einer übermäßigen und unverhältnismäßigen leiblichen Askese zum Ausdruck kommt. Der heilige Cassianus bemerkt, dass die Leidenschaft der Lust zwangsläufig so lange die Seele bekämpft, bis sie erkennt, dass dieser Kampf ihre Kräfte übersteigt, bis sie erkannt hat, dass sie unmöglich durch ihre eigene Arbeit und Mühe den Sieg erringen kann, wenn sie nicht Hilfe und Schutz vom Herrn erfährt.[21] Dieser heilige Vater hat lange Zeit unter den Sketisvätern gelebt und ihre Lehre in Fülle aufgenommen.

Da wir über die Reinheit sprechen, halten wir es für außerordentlich notwendig, uns mit einem armseligen Wort an die Unwissenheit unserer Zeit zu wenden, die so stolz auf Wissen ist, aber auch jenen helfend die Hand zu reichen, die aus Unwissen der Verwirrung, Niedergeschlagenheit und Trauer erliegen und leiden: Sehr viele, die den Wunsch haben, ein gottgefälliges Leben zu führen, geraten in große Verwirrung, wenn Gedanken und Empfindungen der Fleischeslust in ihnen aufsteigen. Sie sehen darin etwas Ungewöhnliches, etwas, das es nicht geben darf. Dadurch verlieren sie ihre geistliche Anspannung, sind enttäuscht und entscheiden sich oft dazu, ihr gottgefälliges Leben aufzugeben, weil sie glauben, unfähig dazu zu sein. Ein völlig falsches Selbstverständnis! Unsere Natur befindet sich im gefallenen Zustand. In diesem Zustand sind fleischliche Begierden für sie charakteristisch, deren Auftreten unvermeidlich. Daher darf man nicht überrascht und verwirrt sein, wenn sich Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen der Begierde einstellen: Das ist eine naturgegebene Notwendigkeit. Jeder Mensch ist ihr untertan, auch alle heiligen Männer waren ihr untertan.

Mehr noch. Für den Fortschritt im geistlichen Leben selbst ist es absolut notwendig, dass unsere Leidenschaften in Erscheinung treten und somit offenbart werden.[22] Wenn sich im Asketen die Leidenschaften offenbaren, dann tritt er in den Kampf mit ihnen ein. Wer in den Kampf eintritt und mutig kämpft, kann er den Sieg erringen und mit der Siegeskrone, dem Heiligen Geist, gekrönt werden. Wir laden unsere geliebten Mitbrüder ein, die Viten und Schriften der Heiligen Väter sorgfältig zu prüfen: Wir werden erkennen, dass alle Heiligen Gottes der Qual und Mühe dieses Kampfes ausgesetzt waren und sie durch das Feuer der Leidenschaften, durch das Wasser der Tränen gegangen sind, um in den Frieden der Leidenschaftslosigkeit aufzusteigen. Der ehrwürdige Abbas Dorotheos wurde bei seinem Eintritt in das Kloster sehr von fleischlichen Begierden versucht, und in diesem Kampf griff er auf den Rat und die Anweisungen des ehrwürdigen Barsanuphios des Großen zurück.[23] Die Antworten dieses großen Vaters enthalten eine ausgezeichnete Anleitung für den mutigen Widerstand gegen alles, was die gefallene Natur in ihrer Unvernunft und ihrer Verderbtheit fordert. In einer dieser Antworten sagt der der ehrwürdige Barsanuphios über sich selbst, dass er fünf Jahre lang von der Leidenschaft der Wollust heimgesucht wurde. Der Kampf, den das Fleisch führt, sagte er, wird vom tränenreichen Gebet aufgehoben.[24] Der ehrwürdige Antonios der Große kämpfte, wie in seiner Vita erzählt wird, intensiv mit wollüstigen Gedanken und Vorstellungen. Viele der Heiligen wurden, nachdem sie vom Heiligen Geist bereits erneuert worden waren und den Hafen der glückseligen Leidenschaftslosigkeit erreicht hatten, plötzlich von unkeuschen Regungen und Neigungen ihrer Natur angefochten, von einem Ansturm unreiner Gedanken und Vorstellungen, wie es dem ehrwürdigen Makarios von Alexandria, Ioannikios dem Großen und anderen widerfuhr. Deshalb sagten die Heiligen Väter auch, dass man seinem Fleisch erst vertrauen kann, wenn es im Grab liegt.[25]

Schließlich treten wir gerade dafür in das Kloster ein, um die in uns verborgen wirkenden Leidenschaften und das Verhältnis unserer Natur gegenüber den Geistern des Bösen aufzudecken, denen sie sich freiwillig unterworfen hat. Dafür lösen wir unsere Bande mit der Welt, lassen die Gesellschaft der Menschen, die Verwandten und den Besitz zurück, um unsere inneren Fesseln zu sehen und sie durch Gottes Hand zu brechen.[26] Das Zweite kann nicht geschehen, bevor nicht das Erste getan worden ist. Nur dann können wir zur Demut des Geistes gelangen, wenn wir in uns selbst den Fall der Menschheit erkennen und ihr Gefangensein unter der grausamen Herrschaft der Dämonen und des ewigen Todes über uns. Nur dann können wir mit Gebet und Wehklagen aus tiefstem Herzen mit ganzer Seele zu Gott rufen und mit diesem Flehen, in diesem Bewusstsein unserer Verderbnis und unserer hilflosen Schwachheit die göttliche Gnade an uns ziehen. Aus diesem Grund tragen die Kämpfe, die in uns entflammen, zu unserem geistlichen Fortschritt bei, wenn wir mutig kämpfen und uns nicht feige besiegen lassen. Der ehrwürdige Abbas Dorotheos berichtet davon, wie einmal der Schüler eines gewissen großen Altvaters der leiblichen Anfechtung ausgesetzt war. Als der Altvater seine Mühe sah, sagte er zu ihm: „Soll ich zu Gott beten, damit Er dir deinen Kampf erleichtern möge?“ Sein Schüler antwortete: „Mein Vater! Obwohl ich mich mühen muss, sehe ich doch in mir die Frucht der Mühe: Es ist besser, wenn du zu Gott bittest, Er möge mir Geduld im Kampf schenken.“ – Ein solcher will wirklich gerettet werden!, beschließt der ehrwürdige Dorotheos seine Erzählung.[27] Der ehrwürdige Poimen der Große erzählte zur Erbauung und zum Trost den Brüdern vom großen gottgefälligen Ioannes Kolobos, wie jener Gott anflehte und schließlich von der Wirkung der Begierden befreit wurde, worauf in ihm ein unerschütterlicher Frieden einzog. Sogleich wandte er sich an einen gewissen Altvater, der im geistlichen Leben sehr erfahren war, und erzählte, was ihm geschehen war. Der Altvater antwortete: „Geh, bete zu Gott, dass die Anfechtungen zu dir zurückkehren, zusammen mit der Reue und Demut, die du früher dank dieser Anfechtungen besaßest. Denn durch sie erlangt die Seele den Fortschritt.“[28] Lasst uns nicht in Verwirrung, Niedergeschlagenheit, Kleinmut und Antriebslosigkeit verfallen, wenn wilde Wogen der Lust in uns aufsteigen und ihre Gedanken uns wie ein starker Sturm angreifen! Lasst uns der Sünde widerstehen: Lasst uns durch diesen Kampf einen lebendigen Glauben an Gott und eine lebendige Gotteserkenntnis erlangen.

Viel und oft schaden wir uns selbst und fordern von uns etwas, das uns nicht angemessen ist. Es geschieht, dass solche, die gerade erst das Werk der Askese begonnen haben und vor Wollust noch geradezu strotzen, das Verlangen nach Freiheit von der Anziehungskraft der Gedanken, Vorstellungen und Empfindungen des Fleisches entwickeln. Diese Anziehungskraft ist aber vorhanden, und sie ist naturgegeben; anders kann es gar nicht sein. Es ist unvernünftig, das Unmögliche zu erstreben. Die Wollust muss aus der von ihr durchdrungenen Natur mit Notwendigkeit hervortreten; sobald sie aber in irgendeiner Form auftritt, müssen wir ihr sofort mit Selbstzügelung auf die oben genannte Weise entgegenwirken. Wir müssen uns gegen den starken Willen der ganzen Natur allein durch das Wirken des schwachen Willens der Vernunft (Röm 7,23), die vom Wort Gottes geleitet wird, aus unserer Gefangenschaft befreien, aus unserem alten Zustand, unserer gefallenen Natur. Das Reich der Himmel leidet Gewalt, sagte der Herr, und nur diejenigen, die sich zwingen und ihren sündigen Willen überwinden, reißen es an sich (Mt 11,12). Wenn die Gnade Gottes begonnen hat, uns offenkundig zu helfen, dann ist das erste Zeichen ihrer Hilfe ein nicht anhänglicher Gedanke[29], wie die heilige Johannes Klimakos sagt, d. h. eine Schritt für Schritt im Nous wachsende Gleichgültigkeit gegenüber unzüchtigen Gedanken und Vorstellungen, im Gegensatz zu der vorherigen Anhänglichkeit, die in jedem Falle zur Hingabe und Unterwerfung führte, wenn nicht mit besonderer Anstrengung Widerstand geleistet wurde.

Ihr Jungfräulichen, ihr, die ihr den Tod eurer Seelen durch den tatsächlichen Fall eures Leibes in die Unzucht nie erlebt habt! Bewahrt eure Jungfräulichkeit als kostbaren Schatz: In der geregelten klösterlichen Lebensweise werdet ihr schon bald die geistliche Wirkung, wie sie von den Heiligen Vätern genannt wird[30], bzw. Wirkung des Heiligen Geistes auf die Seele verspüren, eine Wirkung, die auch dem Leib durch die Seele vermittelt wird und uns durch die eigene Erfahrung Gewissheit verschafft, dass unsere Leiber für geistige Erquickung geschaffen wurden, dass sie erst wegen des Sündenfalls zur Anhänglichkeit an tierische Vergnügungen hinabgesunken sind, dass sie durch wahre Reue zur Zuneigung zu geistiger Erquickung zurückkehren können. Ach! Selbst das Wissen um die Existenz dieser Fähigkeit des menschlichen Körpers, das Geistliche zu verspüren, ist den Menschen verloren gegangen, die doch ihre Allwissenheit verkünden. Die Kunde von dieser Fähigkeit wird mit Unglauben aufgenommen als sei sie eine neue und außerordentliche Lehre. Sie ist nicht neu, und sie ist nicht unbekannt! Schaut euch die Schriften der heiligen Väter an: Ihr werdet diese Lehre darin finden. Wenn ihr euch nur ein wenig darin vertieft, werdet ihr sie auch in der Heiligen Schrift finden. Die Erlösung, die der Menschheit von Gott geschenkt wurde, ist voller unbeschreiblicher, existenzieller Segnungen, durch die diese Erlösung bezeugt wird. Wir aber begnügen uns mit oberflächlichem Wissen und wollen uns das Erfahrungswissen nicht aneignen, weil es Kreuzigung erfordert (Gal 5,24); daher berauben wir uns des lebendigen Wissens. Das Gefühl eines Herzens, das an geistlichen Wonnen Anteil hatte, ändert sich. Ein solches Herz beginnt, Wollust zu verabscheuen, sich mit Eifersucht ihren Rufen und Verlockungen zu widersetzen und unter Tränen zu Gott um Befreiung aus diesem stinkenden Sumpf zu flehen.

Ihr, die ihr durch die Vorsehung Gottes in den Stand der Witwenschaft versetzt worden seid und das Joch dieses Standes tragen wollt oder müsst! Hört nicht auf, mit warmen und demütigen Gebeten zu Gott Zuflucht zu suchen; Er wird euch den Sieg sowohl über eure Natur als auch über eure Gewohnheit geben, aus der sich die Kraft und das Recht der Natur gestärkt und erhalten haben. Entsagt nicht der kurzen Leidenszeit des Kampfes mit euch selbst: Diese Drangsal bedeutet nichts gegen den Trost, der aus dem Sieg entspringt; diese Drangsal bedeutet nichts gegenüber dem Gefühl der Freiheit, das nach dem Sieg in der Seele erscheint.

Ihr, die ihr im Abgrund des Ehebruchs und der Verdorbenheit seid! Hört die Stimme, die euch zur Buße ruft, und nehmt von Gott, dem allmächtigen Arzt, die allmächtige Medizin der Buße an, die Er euch anbietet. Dieses Arzneimittel ist gut erprobt. Es machte die Ehebrecher zu Vorbildern der Keuschheit und die Verdorbenen zu Heiligen und Gerechten. Es hat Gefäße des Teufels in Gefäße des Heiligen Geistes verwandelt; viele reuige Sünder haben Asketen, denen die Todsünde unbekannt war, auf dem Gebiet des geistlichen Fortschritts weit hinter sich gelassen. Die Würde eines jeden Christen ist der Erlöser, und unter den Menschen steht in seiner Würde derjenige höher als die anderen, der sich den Erlöser gründlicher zu eigen gemacht hat.

Viele heilige Väter, die ihr Leben jungfräulich verbrachten, nannten sich befleckt und unzüchtig. Damit nicht genug! Einige von ihnen, die man der Sünde der Unzucht bezichtigt hatte, brachten keinerlei Rechtfertigung dagegen vor, obwohl ihnen das sehr leicht gefallen wäre, und unterwarfen sich vielmehr der Strafe und Bedrängnis, als ob sie wirklich schuldig wären. Ein solches Verhalten mag bei oberflächlicher Betrachtung seltsam erscheinen: Es erklärt sich aus der Art der asketischen Praxis, mit der die heilige Reinheit erlangt wird. Diese Praxis offenbart so deutlich den Fall der Natur und beweist dem Asketen so greifbar, dass seine Unterwerfung unter die Forderungen der gefallenen Natur unvermeidlich wäre, würde ihn nicht die Hand Gottes aus der Sphäre der Natur herausheben, dass er sich auch selbst nur als Ehebrecher anerkennen muss. Seine Reinheit ist das Werk Gottes in ihm, keineswegs eine Eigenschaft seiner Natur und auch nicht die Frucht seiner Bemühungen. Die Dauer des asketischen Werks hat erheblichen Einfluss auf die Herausbildung und Aneignung eines solchen Selbstverständnisses. Es kann mit Gewissheit festgestellt werden, dass die Heiligen Gottes sich für unvergleichlich stärker durch Unzucht befleckt hielten als jene, die ein Leben des Fleisches führen und von Unzucht ständig geradezu überflutet werden. Aus dieser Selbstsicht heraus äußerte der heilige Basilios der Große, Erzbischof von Cäsarea in Kappadokien, ein vom Heiligen Geist erfüllter Mann, das Folgende über sich selbst: Ich habe keine Frau erkannt und bin doch nicht jungfräulich.[31] Was für ein tiefes Gefühl der Trauer klingt in diesem Spruch mit!

Möge Gottes grenzenlose Barmherzigkeit es uns gewähren, der heiligen Reinheit und heiligen Demut der Heiligen Gottes nahe zu kommen. Amen.



[29] Die Himmelsleiter, Stufe 15,4 (russ.: 15, 9), nach der Übersetzung des hl. Paisie von Neamţ (Veličkovskij) ins Kirchenslawische [in der deutschen Ausgabe (siehe Quellen): „ein nicht einwilligender Gedanke“].

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