(zu Band 2, „Über den Tod“, letztes Kapitel) – Sich stets der Endlichkeit des Lebens und des jederzeit möglichen Todes bewusst zu sein, ist auch für weltliche Christen ein unersetzliches Mittel innerer Reinigung und Wandlung. Die Illusion, dieses irdischen kurze Leben wäre ewig lang und „realer“ gegenüber dem, was danach kommt, raubt uns wertvolle Zeit. Diese fehlt uns dann, um unserer großen Berufung gerecht zu werden: Hier auf Erden Tempel des Heiligen Geistes zu werden.
Bis wir jenen seligen Gebetszustand erreicht haben, bei dem der NousNous Geist, Intellekt, Geistkraft des Menschen. "Das, was denkt". unmittelbar das bevorstehende Ende wahrnimmt …, ist es nützlich, das Bedenken des Todes etwa durch den Besuch von Friedhöfen oder Kranken zu entfachen, oder durch Beisein beim Dahinscheiden und beim Begräbnis der Nächsten, durch das häufige Betrachten und Zurückerinnern an die verschiedenen Tode, die uns in letzter Zeit zu Augen und Ohren gekommen sind.
Wie viele unserer Bekannten, die dieses irdische Leben geliebt und seine Vorzüge genossen haben, die auf ein langes Leben gehofft hatten und doch noch gar nicht so alt waren, hat der Tod unerwartet dahingerafft! Keiner von ihnen konnte dem nahen Tod sagen: Warte! Gehe, ich will noch nicht sterben!
Manchen von ihnen gelang es in der Stunde ihres Todes nicht einmal mehr, irgendwelche Anordnungen oder Vorbereitungen zu treffen.
Einige wurden womöglich mitten aus einem fröhlichen Gelage oder beim üppigen Mahle hinweggerafft
Andere starben auf der Straße
Manche ertranken
Andere töteten sich oder wurden getötet
Wieder andere wurden von Raubtieren zerrissen
Noch andere legten sich kurz nieder und entschliefen in die Ewigkeit.
Schauen wir uns um:
Welch Vielzahl unserer Verwandten, Freunde und Bekannten ist vom Tode ereilt und aus unserer Gemeinschaft weggeholt worden!
Die berühmt waren, mussten ihren Ruhm, ihre Macht und ihre Ehrenränge zurücklassen
Die Reichen ihr Hab und Gut, das sie mit so viel Mühe angehäuft und mit großem Geiz bewahrt hatten
Der Tod hat Eltern von ihren vielen Kindern getrennt
Den Ehemann von der Ehefrau
Den Freund vom Freund
Genies mitten in ihren großen Plänen getroffen
Der Gesellschaft entrissen, wer ihr so wichtig war, und gerade, als man ihn am meisten benötigt hätte.
Nicht einer hätte den Tod aufhalten oder sich ihm in den Weg stellen können; keiner konnte von ihm Rechenschaft für sein Handeln verlangen, das doch so unvereinbar mit der menschlichen Vernunft ist.
Was auf Erden ist denn nicht eitel?
Was nicht Illusion?
Was ist irgend unveränderlich?
Wahrhaftig ist allein das Leben in Christus, das sich über die Grenzen des Grabes hinaus fortsetzt und sich durch den Tod des Leibes erst so recht in aller Schönheit und Glanz entfaltet. Alles Übrige aber ist schwacher Abglanz, trügerisch wie Traumgespinste … Was der Mensch in jahrelangen Mühen an Vergänglichem erschaffen hat, das zerstört der Tod in einer Stunde, in einem Augenblick.
Da wir die Vergänglichkeit unseres Erdenlebens und die Flüchtigkeit aller irdischen Vorzüge und Besitztümer erkannt haben und um die schreckliche Zukunft jener wissen, die den Erlöser und die Erlösung geringschätzen und sich ganz zum Opfer der Sünde und des Zerfalls dargebracht haben, lasst uns unser geistiges Auge davor bewahren, allzu aufmerksam die trügerische und verführerische Schönheit dieser Welt zu betrachten, denn nur zu leicht verführt sie das schwache Menschenherz dazu, nur sie zu lieben und nur ihr zu dienen.
Schauen wir auf das furchteinflößende, aber errettende Schauspiel des uns bevorstehenden Todes.
Erheben wir rechtzeitig die Wehklage über uns.
Waschen und reinigen wir unsere in den Büchern des Weltenherrschers verzeichneten Sünden durch unsere Tränen und unser Zeugnis rein.
Gewinnen wir die Gnade des Heiligen Geistes, dieses Siegel und Zeichen des Auserwähltseins und der Errettung.
Für freies Geleit durch die Lüfte und ungehinderten Einlass an den Toren und zu den Wohnstätten des Himmels werden wir es brauchen. Das unrechte Gut (vgl. Lk 16,11), wie das Evangelium jeglichen irdischen Besitz unseres Sündenfalls wegen nennt, wollen wir nach dem Rat dieses Evangeliums darauf verwenden, uns Schätze im Himmel zu erwerben, indem wir reichlich Almosen spenden. Lasst uns unser irdisches Leben, dieses große Gottesgeschenk, seiner von Gott gewiesenen Bestimmung gemäß verwenden, nämlich für die Erkenntnis Gottes, die Erkenntnis unserer selbst und die Gestaltung unseres Schicksals in der Ewigkeit. Wir wollen keine Zeit vergeuden; nutzen wir sie recht: Sie wird uns kein zweites Mal gegeben; ihr Verlust ist unwiederbringlich.
Vertriebene des Paradieses! Nicht dafür sind wir auf Erden, dass wir uns belustigen und feiern, sondern um durch Glauben, BußeUmgeisten griech. metanoia: die Hinwendung des Nous (des menschl. Geistes) von der Sünde zu Gott durch Reue und Umkehr und das Kreuz den Tod, der uns getötet hat, zu töten, und das verlorene Paradies wiederzuerlangen. Möge der barmherzige Herr den Lesern dieses Wortes und seinem Verfasser gewähren, in ihrem Erdenleben des Todes eingedenk zu sein, sich von den Schrecken des Todes durch sein beständiges Gedenken, durch das Entsterben gegenüber allem Zeitlichen und durch ein Leben für die Ewigkeit zu befreien und, wenn seine Stunde schlägt, in das selige, ewige und wahre Leben hinüberzugehen.
Amen.